Menschenrechtsexperten sehen Rückschritte in Ägypten – „Viele Frauenrechtlerinnen verzweifeln“
Frankfurt (Neue Osnarbrücker Zeitung) – Es ist eine Frage der Perspektive: Ist das Glas halb voll, oder ist es halb leer? Was die politische Situation in Ägypten rund ein Jahr nach Beginn der Revolution betrifft, sind die Prognosen schwankend – wie der Wasserspiegel in einem Glas. Mubaraks Sturz und Gerichtsprozess auf der einen, immer wieder tödliche Zusammenstöße von Protestierenden und Polizei auf der anderen Seite. Bestenfalls, so scheint es, kann die politische und gesellschaftliche Entwicklung derzeit als ergebnisoffen bezeichnet werden.
In einem Punkt aber sind sich viele Vorausschauen einig: Die Rechte der nordafrikanischen Frauen haben sich durch die sogenannte Arabellion nicht stabilisiert oder gar verstärkt. Im Gegenteil: Sie sind brüchig wie nie zuvor, besonders in Ägypten. „Die Situation der Frauen ist auf einem ganz schlechten Weg“, sagt Max Klingberg von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt. Klingberg stößt damit in dasselbe Horn wie etwa Dina Fakoussa von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die Lage der Frauen im Land sei ernüchternd. Es gebe bereits Rückschritte bei den Frauenrechten, weitere drohten.
Wie weit diese Rückschritte greifen könnten, beschreibt IGFM-Experte Klingberg im Gespräch mit unserer Zeitung: „Nur zwölf der 498 Abgeordneten im neuen ägyptischen Parlament sind weiblich“, sagt er. Frauen seien bei einem derzeit laufenden elementaren Prozess – der Vorbereitung für den neuen Verfassungsentwurf – vollständig außen vor. „Gottesstaat, islamisch geprägter Staat, säkularer Staat – wohin die Reise gehen soll, darüber sind sich die Ägypter gar nicht einig.“ Die Stimme der Frauen bei einem solchen richtungsweisenden Prozess zu ignorieren sei ein gefährliches Zeichen. „Letztlich steht und fällt alles mit dem Verhalten der Muslimbrüder.“
Dass diese die deutlich stärkste Kraft im neuen Parlament bilden, hält Klingberg für nicht überraschend. „In den letzten zwanzig Jahren haben die Islamisten einen unheimlich starken Rückhalt in der Bevölkerung erfahren“, sagt er. „Frauen mit Kopftuch – damals war das im Straßenbild noch die Ausnahme. Die Gesellschaft war erheblich liberaler.“
Wie erklärt sich die Veränderung? „Der ägyptische Islam ist ursprünglich alles andere als extremistisch“, sagt Klingberg. Fundamentalisierend gewirkt haben könnte die Arbeitsemigration nach Saudi-Arabien, die vor allem in den 1990er-Jahren stattfand. „Viele junge Ägypter haben den konservativ-strengen Islam quasi von der Arabischen Halbinsel mit nach Hause gebracht.“ Islamisch-extremistische Satellitensender, Perspektivlosigkeit und Überbevölkerung täten ihr Übriges zu einer explosiven Stimmung, die den Islamisten so viel Zulauf bringe – nach dem Aufstand gegen das Regime, unter dem sie verboten waren.
Die Frauen in Tunesien und auch in Ägypten – sie gingen vor einem Jahr für mehr Freiheit auf die Straße, für mehr Chancen, für wirtschaftliche Sicherheit – und für ihre Rechte. Nun scheinen ihre Stimmen viel leiser. „Viele Frauenrechtlerinnen in Ägypten verzweifeln“, sagt Klingberg.
Und dennoch: „Die Islamisten im Parlament sind sich überhaupt nicht einig. Es besteht immer noch die Chance, dass sie mit den Liberalen zusammengehen – was die Aussichten für die Frauenrechte entscheidend verbessern würde.“
(Credit Vorschaubild: Al Jazeera English, Wikipedia Commons CC BY 2.0./ Link: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:International_Women%27s_Day_in_Egypt_-_Flickr_-_Al_Jazeera_English_(97).jpg)