Aus für Berg-Karabach, Aus für Armenien?
Exodus. Heute verkündete die Führung von Berg-Karabach die Auflösung der armenischen Exklave. Über 65.000 Menschen sind bereits aus dem Gebiet geflüchtet, aserbaidschanische Soldaten begehen Kriegsgräuel. Jahrtausende alte Kulturschätze und Bauwerke drohen vernichtet zu werden. Foto „The saddest dawn of the shattered homeland“: Siranush Sargsyan, armenische Journalistin, zu diesem Zeitpunkt noch in Stepanakert.
EU verwässert mit „Normalisierungsbegriff“ weiterhin ihr sträfliches Versagen im Südkaukasus
Ein Kommentar der IGFM
Frankfurt am Main, 28. September 2023
Während EU Ratspräsident Charles Michel vorgestern schon von „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Armenien spricht, setzen aserbaidschanische Soldaten untereinander Belohnungen für die Vergewaltigung und Zerstückelung vermisster armenischer Mädchen aus und ziehen so selbst die direkte blutige rote Linie zum Völkermord an den christlichen Armeniern während des Ersten Weltkrieges.
Wie kann von einer Normalisierung die Rede sein, während aserbaidschanische Soldaten in Karabach wild um sich schießen, eine über zehn Monate ausgehungerte Bevölkerung aus seiner Heimat gejagt wird und ein dreijähriger ausgemergelter Junge an seinem Geburtstag einen „Kuchen aus Erde“ backt? Die Berichte aus Berg-Karabach, die die Geschäftsstelle der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in den letzten sieben Tagen überfluten, sind grauenhaft.
Doch entgegen besseren Wissens der EU, bleibt es auf dem politischen Parkett bei guter Miene zum bösen Spiel des aserbaidschanischen Kriegsverbrechers und seines türkischen Verbündeten. Dies vermutlich um den letzten Schein eines sicherheitspolitischen „Global Players“ in der kaspischen Ölregion zu wahren.
Unter dem Deckmantel des internationalen Völkerrechts auf territoriale Integrität hat Aserbaidschan seit Jahrzehnten systematisch alle anderen Prinzipien des Völkerrechts ausgehebelt und verhöhnt.
Auf dem Rücken des armenischen Volkes, des ersten christlichen Staates der Welt, gilt nur ein Prinzip und das stellt der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew immer wieder klar, so wie hier in seiner Rede auf der Siegesparade in Baku, nach seinem Angriffskrieg Ende 2020:
„Das Leben hat gezeigt, dass wir rechtzeitig Maßnahmen ergriffen, alle unsere Kräfte mobilisiert, eine eiserne Faust geschaffen und den Kopf des Feindes zerschmettert haben… Wenn danach der armenische Faschismus erneut erstarkt, wird das Ergebnis das gleiche sein. Aserbaidschans eiserne Faust wird ihnen erneut das Rückgrat brechen“.
Zeugnisse der grauenhaften Drohungen gegen armenische Mädchen, von armenischen Medien gefunden, geprüft und veröffentlicht.
Und der türkische Präsident Recep Erdogan ergänzt von der Siegestribüne neben seinem Bruder Ilham Aliew, dass dieser glorreiche Sieg über die Armenier ein Tag des Sieges und des Stolzes für die gesamte türkische Welt“ sei, nun auch die „Seele“ des damaligen Hauptverantwortlichen für den Völkermord an den Armeniern, „Enver Pascha jubeln“ würde.
Während sich die durch die zehnmonatige Blockade völlig geschwächten Karabach-Armenier in dunklen Kellern verstecken, ihre Toten bergen (alleine vorgestern gab es bei einer Gasexplosion über 70 Tote), verzweifelt ihre Vermissten suchen, teilen sich die „tatsächlichen regionalen Global Player“, -Russland und das türkisch-aserbaidschanische Bruderbündnis- schon den eigentlichen armenischen Kuchen auf.
So möchte der türkische Präsident unbedingt das fehlende Verbindungsstück zum großen pantürkischen Traum von der Adria bis nach China, das sich auf eine Länge von gut 40 Kilometern auf armenischen Territorium in der südlichen Region Sjunik (türkisch: Sangesur) befindet: Auch hierzu gibt es seit Jahren klare Stellungnahmen des aserbaidschanischen Präsidenten, so im April 2021:
„Die Schaffung des Sangesur-Korridors entspricht voll und ganz unseren zukünftigen nationalen und historischen Interessen. Wir realisieren den Sangesur-Korridor, ob es Armenien gefällt oder nicht. Wenn sie mitmachen, wird es für uns einfacher sein, es umzusetzen, wenn nicht, werden wir es durchsetzen. Genau wie vor und während des Krieges habe ich gesagt, dass sie unser Land verlassen müssen, sonst werden wir sie mit Gewalt vertreiben. Und so geschah es. Gleiches gilt für den Sangesur-Korridor.“
Mehr noch als diesen südlichen Korridor an der armenischen Grenze zu Iran, nennt der aserbaidschanische Präsident längst fast ganz Armenien sein Eigen, bezeichnet es offiziell als „Westaserbaidschan“ und betreibt seit über einem Jahr ein „Rückbesiedelungskonzept“ in großem Rahmen.
„Armenien war noch nie in dieser Region präsent. Das heutige Armenien ist unser Land… Ich spreche von Armenien, der Republik Armenien“, so der aserbaidschanische Präsident an seinem 61. Geburtstag am 24. Dezember 2022.
Russland hingegen setzt aktuell alles daran, den kleinen demokratischen Außenseiter in der kriegstreibenden Diktatorenrunde, den armenischen Präsidenten Nikol Paschinjan, durch einen eigenen Vertreter zu ersetzen. So erhalten derzeit unzählige proeuropäische Kräfte in Armenien Drohungen von russischen Fake Accounts über die sozialen Netzwerke, so auch die Sektionsleiterin der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Jerewan:
„Gib mir deine Adresse und wir werden dein Haus anzünden, sag deinem Herren (Paschinjan), dass er dafür ruhig die Verantwortung übernehmen soll, wir werden dich abstechen in deinem Haus, wegen solcher wie dir, sterben unsere Freunde“.
Dass nun gerade heute der russische Wunschkandidat, der armenischstämmige russische Finanzmagnat Ruben Vardanjan, der sich nach der Wiederwahl des „untreuen Vasallens“ Nikol Paschinjan im Sommer 2021 aus den Metroplolen der Welt „zur Rettung der Armenier nach Berg-Karabach“ aufmachte, von der aserbaidschanischen Polizei beim dortigen Grenzübertiritt verhaftet wurde, erhöht das Spannungsgeflecht der politischen Aktuere.
Während die von der EU gefeierte hundertköpfige zivile sicherheitspolitische Beobachtermission (EUMA) in Armenien von den alten regionalen Großmächten offensichtlich nur als unliebsamer Zaungast wahrgenommen wurde, bleibt grotesker Weise nur noch das muslimische iranische Terrorregime, das den ersten christlichen Staat der Welt und dessen Kulturerbe der Menschheitsgeschichte vor den Garaus bewahrt. Denn Teheran wird keinerlei Änderungen der geopolitischen Lage an seiner Grenze zu Armenien dulden, so -zumindest bislang- die klare Aussage.
Die Lage Armenien ist also alles andere als auf dem Weg der „Normalisierung“, dennoch und gerade deswegen ist der Einsatz der EU für das kleine demokratische Land, das umgeben ist von hochkarätigen kriegerischen Diktaturen, überlebenswichtig und ist in diesem komplizierten und explosiven Spannungsgeflecht die hohe Kunst der Diplomatie vonnöten. Jedoch ist das stetige Weglächeln der EU auf dem politischen Parkett längst sträflich und fahrlässig überstrapaziert.
Oder in den Worten des aserbaidschanischen Präsidenten schon vor einem Jahr formuliert:
„Niemand kann uns beeinflussen. Es kann einige Telefonate und einige Erklärungen (der EU) geben, aber wir müssen nicht aufpassen. Wir nehmen diese Anrufe einfach aus politischer Höflichkeit entgegen, aber das wird unsere Position nicht ändern“.
Aserbaidschan gehört längst vor den Internationalen Strafgerichtshof für seine jahrzehntelange systematische völkerrechtswidrige Politik gegenüber Armenien und nicht als gefeierter zuverlässiger Wirtschaftspartner auf die europäische politische Bühne.