Bahai im Iran

Bahai im Iran

Anhänger der größten religiösen Minderheit im Iran werden seit Jahrzehnten systematisch unterdrückt. Links im Bild, die zehn Frauen, die in den 1980er Jahren öffentlich erhängt wurden. Rechts, die Zerstörung des National Bahai Centers in Teheran (ca. 1955).

Systematische Verfolgung zum Ausschluss aus der Gesellschaft

Ein Beitrag von Jascha Noltenius:

Im Gegensatz zu der in den achtziger Jahren verfolgten Strategie unverhohlener Hinrichtungen der Bahá’í, wie etwa der öffentlichen Erhängung von zehn Frauen, darunter einer Minderjährigen, für das Unterrichten in Sonntagsschulen, hat sich die iranische Regierung in den letzten Jahrzehnten – neben weiterhin erfolgenden willkürlichen Inhaftierungen – weitgehend darauf konzentriert, Bahá’í durch wirtschaftliche und soziale Repressalien aus dem Iran zu vertreiben und ihr Kultur- und Gemeindeleben zu zerstören.

Zu diesen Maßnahmen gehören anhaltende Bemühungen, Bahá’í von höherer Bildung auszuschließen, ihnen die Möglichkeiten zum Erwerb ihres Lebensunterhaltes zu versagen und sie der geistigen Inspiration durch ihre heiligen und historischen Stätten zu berauben. Dadurch verletzen die iranischen Behörden ihre menschenrechtlichen Pflichten aus den völkerrechtlich verbindlichen UN-Pakten über wirtschaftliche, soziale und kulturelle sowie über bürgerliche und politische Rechte, u.a. den Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, das Recht auf Religionsfreiheit, aber auch das Recht auf freie Berufsausübung und auf Bildung.

10 Frauen des Bahai

Zehn Bahá’í Frauen, die am 18. Juni 1983 wegen ihrer Bildungsaktivitäten in Schiras/Iran öffentlich erhängt wurden, nachdem sie vergeblich aufgefordert wurden, zum Islam zu konvertieren.

Verweigerung des Zugangs zu Bildung

Die Weigerung der Regierung, jugendlichen Bahá’í den Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen, zeigt wohl am deutlichsten, dass die iranische Regierung mit ihrer Strategie der geräuschlosen Strangulierung zum Äußersten bereit ist.

Auch im Oktober 2020 (ext. Link) wurde wieder mindestens 15 Bahá’í nachweislich der Zugang zur Hochschuldbildung verwehrt. Offensichtlich soll mit dem anvisierten Rückgang des Bildungsniveaus die Verelendung der Gemeinde und damit ihr Ausschluss aus der iranischen Gesellschaft erreicht werden. Die Regierung hat sich eines sehr einfachen Mechanismus bedient, um Bahá’í von Hochschulbildung auszuschließen: Sie hat einfach verfügt, dass bei dem zentralen staatlichen Eingangsexamen für die Universitäten die Religionszugehörigkeit anzugeben ist. Bewerber, die eine andere als eine der vier im Iran offiziell anerkannten Religionen — Islam, Christentum, Judentum und Zoroastrismus — angeben, werden ausgeschlossen. Dabei können sich die Behörden auf eine direkte Weisung aus einem Regierungsmemorandum (ext. Link) zur sog. ‚Bahá’í-Frage‘ berufen, in dem es heißt: Sie müssen von Universitäten verwiesen werden, entweder im Aufnahmeverfahren oder während des Studiums, sobald bekannt wird, dass sie Bahá’í sind.“

Reaktion der Bahá’í

Trotz der Brutalität und Systematik der Verfolgung, weigern sich die Bahá’í im Iran, sich der Opferrolle zu fügen. Anstatt sich politisch gegen die Behörden zu organisieren oder als Opfer von Kräften, die sich ihrer Kontrolle entziehen zu resignieren, mobilisieren die Bahá‘í ihre begrenzten Ressourcen und richten kreative Systeme ein, um ihr Überleben zu sichern und den Nöten ihrer jeweiligen Gesellschaft zu begegnen.

Beispielsweise haben Bahá’í bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Schulen für Mädchen in Iran gegründet. Diese Schulen standen Menschen aller Glaubensrichtungen und Hintergründe offen. Tatsächlich bildeten sie die erste Generation berufstätiger Frauen in Iran aus und ihr Einfluss war in der gesamten Gesellschaft zu spüren. Bis 1974 hatten Bahá’í-Frauen in Iran unter 40 Jahren 100 Prozent Alphabetisierung erreicht, im Vergleich zum nationalen Durchschnitt von nur 15 Prozent. Die von Bahá’í betriebenen öffentlichen Schulen wurden in den Jahren 1933 und 1934 durch die Behörden geschlossen.

Auf die Verweigerung der Hochschulbildung reagierten die Bahá’í 1980 mit der Gründung einer Ersatzuniversität, dem Bahai Institute for Higher Education (BIHE). Zuvor erwiesen sich über mehrere Jahre hinweg umfangreiche Bemühungen, mit muslimischen Beamten mögliche Lösungen zu erkunden, als vergeblich. Ende der 1980er Jahre war es offensichtlich geworden, dass die Bahá’í nicht an iranischen Universitäten studieren durften ohne ihren Glauben zu verleugnen. BIHE stützt sich zum Teil auf die Dienste iranischer Bahá’í-Akademiker und Fachleute, von denen viele nach der islamischen Revolution von den iranischen Behörden entlassen wurden, sowie auf ein Netzwerk angeschlossener globaler Fakultäten, die die Universität durch Online-Kurse, Lehrplanentwicklung und andere Dienstleistungen unterstützen. Familien bieten ihre Wohnungen für Kurse und Laboratorien an. BIHE ist ein durchdachter und stiller Akt kollektiver Selbstermächtigung moralischen Ideenreichtums.

Trotz des enormen politischen Drucks nahmen die Bahá’í in Iran ihr Schicksal in die eigenen Hände. Die Gemeinde fand Ressourcen, Wissen und Raum, um ihre angeborenen Potenziale zu entfalten. Das BIHE hat den anhaltenden Schließungsbemühungen der iranischen Regierung Stand gehalten und arbeitet weiterhin unter harten, besorgniserregenden Bedingungen. Es brachte Tausende von Absolventen hervor, von denen einige ihre Ausbildung an über 100 akkreditierten Universitäten in der ganzen Welt fortsetzen konnten. Aber auch dieses Bildungsnetzwerk wurde für illegal erklärt und es kommt immer wieder zu Inhaftierungen von Lehrenden und Studierenden.

Kreativ unterstützt werden die Bahá’í im Iran auch von der internationalen Zivilgesellschaft. So sorgt seit 2017 die Kampagne Education is not a Crime (ext. Link) für Aufsehen, indem sie die Hochschulverweigerung der Bahá’í in Street Art Wandgemälden verarbeitet. Man findet sie von den USA über Brasilien, Südafrika, England, Indien bis nach Australien in zahlreichen Großstädten. Das Projekt wurde in einer preisgekrönten Filmdokumentation (ext. Link) festgehalten.

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Die Kampagne „Education is not a crime“ verarbeitet die Hochschulverweigerung der Bahai in Streetart.

Export der Verfolgung in den Jemen

Entsprechend des von den Vereinten Nationen veröffentlichten  Regierungsmemorandums, bemüht sich das Iranische Regime auch, die „kulturellen Wurzeln [der Bahá’í] außerhalb des Landes anzugreifen und zu zerstören“ – aktuell über die Einflussnahme auf die Huthi-Rebellen im Jemen. Die Huthi-Behörden gefährdeten bis Ende Juli 2020 das Leben von sechs unschuldigen Bahá’í-Gewissensgefangenen, obwohl es schon früh Anzeichen dafür gab, dass sich das Corona-Virus auf die Gefängnisse in der von ihnen kontrollierten Hauptstadt Sanaa ausgebreitet hat, und die Vereinten Nationen Warnungen hinsichtlich einer „schnellen Vervielfachung“ (ext. Link) im Jemen aussprachen.

Mehr als vier Monate sind zwischen der Freilassungsankündigung des Präsidenten des Obersten Politischen Rates (ext. Link) der Huthis in Sanaa bzgl. der sechs langjährig-inhaftierten Bahá’í (ext. Link) und der tatsächlichen Umsetzung(ext. Link) vergangen. Erst am 30. Juli 2020 konnte der aufgrund seines Glaubens zum Tode verurteilte Hamed bin Haydara (ext. Link) sowie die fünf weiteren willkürlich-inhaftierten jemenitischen Bahá’í das Gefängnis verlassen. Jeder von ihnen wurde zu Unrecht verhaftet, verhört und in einigen Fällen körperlich gefoltert, bevor er wegen angeblicher Verbrechen angeklagt und ohne Zugang zu Anwälten vor Gericht gestellt wurde. Der schlechte Gesundheitszustand der Gefangenen bedeutete eine besonders hohe Gefahr einer tödlichen Infektion, da in den Gefängnissen nur eine sehr mangelhafte medizinische Versorgungslage besteht. Bis zu der Freilassung ignorierten die Huthi-Behörden, dass bei mehreren Gefangenen im Zentralgefängnis das Coronavirus diagnostiziert wurde.

Das Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (ext. Link) hatte bereits Anfang April zur Freilassung von Gewissensgefangenen weltweit aufgerufen, um diese vor dem Risiko einer Ansteckung in den Gefängnissen zu schützen. In einem Namensbeitrag für die Financial Times, der am 1. Juli 2020 auf der Website des Auswärtigen Amtes(ext. Link) veröffentlicht wurde, verkündete der Bundesaußenminister Heiko Maas gemeinsam mit seiner schwedischen und seinem britischen Amtskollegen: „Wir appellieren an die Huthi-Rebellen, ihre Ankündigung, Anhänger des Bahai-Glaubens freizulassen, umzusetzen.“

Offenbar sind die Freilassungen nur durch den anhaltenden internationalen Druck durch Menschenrechtsorganisationen, Regierungen(ext. Link) und Parlamentarier(ext. Link) sowie Organe der Vereinten Nationen (ext. Link)– namentlich dem UN-Sondergesandten für den Jemen sowie dem Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte – auf die Huthi-Behörden möglich geworden. Diesen Freilassungen müssen die Einstellung aller Strafverfahren gegen diese sechs Personen und die weiteren angeklagten Bahá’í, die Rückgabe ihres Vermögens sowie ihrer Besitztümer folgen. Weiterhin muss allen Bahá’í im Jemen ermöglicht werden, ohne Verfolgungsgefahr nach ihren religiösen Überzeugungen zu leben und zum Wiederaufbau des Jemen beizutragen.

sechs freigelassene Bahai

Die sechs Baha’i befinden sich an einem sicheren Ort, wo sie sich nach drei bis fast sieben Jahren Gefängnis unter extrem schwierigen Bedingungen erholen können, im Bild von links nach rechts: hintere Reihe: Waleed Ayyash, Wael al-Arieghie; mittlere Reihe: Akram Ayyash, Kayvan Ghaderi, Hamed bin Haydara; vordere Reihe: Akram Ayyash, Kayvan Ghaderi, Hamed bin Haydara; vordere Reihe: Badiullah Sanai. Auf dem Bild ist auch die Frau von Herrn Sanai, Faezeh Sanai, zu sehen. Photo credits: Bahai World News Service

28.11.2020

Über den Autor

Jascha Noltenius

Jascha Noltenius

Jascha Noltenius ist Beauftragter für Außenbeziehungen der Bahá‘í-Gemeinde in Deutschland und ihr Sprecher in Menschenrechtsfragen gegenüber Politik, Nichtregierungsorganisationen und Medien. Er studierte an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster Rechtswissenschaften und war anschließend als Rechtsreferendar u.a. im Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam, dem European Centre for Constitutional and Human Rights sowie dem Deutschen Institut für Menschenrechte tätig.

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