Hintergründe zur Blasphemie im Islam

von Dr. Petra Uphoff, Januar 2015

Abbildungsverbot im Islam

Abbildung des Propheten Muhammad von muslimischen Künstlern aus dem 16. Jahrhundert. Traditionell verdeckt ein Schleier das Gesicht Muhammads.

Im Islam ist jede Form von Götzenanbetung oder Polytheismus verpönt und wird im schlimmsten Fall mit dem Tod bestraft. Einerseits könnte – unter Bezug beispielsweise auf Sure 18:110, in der Mohammed betont, dass er ein Mensch wie jeder andere sei – die Kritik an ihm fernab des Blasphemie-Vorwurfs rangieren. Auf der anderen Seite dient Mohammed allen Muslimen als Vorbild und Quelle der Nachahmung in allen Lebensbereichen. Dadurch wird er als unantastbar angesehen und seine Diffamierung steht für die Diffamierung des Islams und des islamischen Selbstverständnisses. Jede Beleidigung oder Abwertung Mohammeds gilt als schweres, todeswürdiges Vergehen.

Grundsätzlich gelten verschiedene Formen der Kunst als unislamisch – neben der abbildenden Kunst auch die Musik. Vor allem die Abbildung Mohammeds gilt als Tabu, meist aber auch die Abbildung seiner Familie, seiner Gefährten, Nachfolger oder wichtiger Imame. Dieses Verbot wurde regional, unter Sunniten und Schiiten bzw. phasenweise sehr unterschiedlich gehandhabt, verschiedene Abbildungen Mohammeds aus dem islamischen Kulturkreis sind jedoch bekannt. Ein Kompromiss bei Zeichnungen, Bildern oder auch in Filmen ist, dass Mohammeds Gesicht nicht erkennbar ist, weiß gelassen oder auch mit einem Schleier bedeckt.

Mit einer strengeren Auslegung des Islams ging stets und geht noch immer eine Restriktion in künstlerischen Bereichen einher. Auf das Hören von vor allem weltlicher Musik werden im Iran bis heute immer wieder Strafen verhängt – je nach Liberalisierungsstand des aktuellen Regimes. Zensur besteht für Publikationen jeglicher Art sowie für Fernsehen und Filme. Und die Ablehnung von Abbildungen, der Verehrung von Heiligtümern oder auch Denkmälern führt beispielsweise in Afghanistan unter den Taliban, unter den Wahhabiten in Saudi-Arabien oder führen zurzeit auch unter dem Islamischen Staat zur Vernichtung von Kulturdenkmälern – selbst von islamischen Kultstätten, Heiligengräbern oder (beispielsweise schiitischen) Moscheen.

Die Verehrung solcher Orte gilt einigen strenggläubigen islamischen Gruppen als „shirk“, also als eine Form des Polytheismus oder der Götzenanbetung. Hierauf steht nach traditioneller Überlieferung die Todesstrafe.

Der Fall der Karikaturen in der Jyllands-Posten im Jahr 2005 eskalierte 2006, nachdem zwei Imame aus Dänemark in Ägypten und Libanon eine 42-seitige Zusammenstellung der „dänischen Karikaturen“ unter anderem unter Klerikern und Vertretern der Arabischen Liga verbreiteten. Allerdings enthielt diese Zusammenstellung auch Karikaturen, die nie in der Jyllands-Posten gedruckt worden waren. Sowohl die OIC („Organisation für Islamische Zusammenarbeit“, damals: „Organisation der Islamischen Konferenz“) als auch die Arabische Liga beschwerten sich in einem Brief an den dänischen Ministerpräsidenten unter anderem über die Beleidigung des Islams.

Die gewalttätigen Folgen, die in Dänemark seit 2006 nicht völlig abreißen, werden zum Teil mit einer Wahrnehmung von islamfeindlichen Haltungen und zunehmenden Vorurteilen im Westen seitens der dänischen Muslime begründet. Seit den „dänischen Karikaturen“ ist auf eine ganz neue Art eine Diskussion um Meinungsfreiheit, Religionsbeschimpfung sowie um Fragen der Blasphemie und Toleranz entstanden.

Die internationale Welle der Gewalt, die folgte, entsprang offensichtlich dem manipulativen Einsatz tatsächlicher und gefälschter Karikaturen durch die beiden Imame aus Dänemark. Sie war vermutlich so leicht zu erzeugen, weil einerseits in der muslimischen Welt gerne das Bild des „Opfers westlicher Dominanz“, des „Kulturimperialismus“ und des Werteverlusts gepflegt wird. Andererseits wird allgemein von einer Nicht-Wertschätzung oder gar Missachtung des Islams ausgegangen, die sich somit bestätigte.

In den Zeitungen islamischer Länder können Darstellungen des Westens oder des Themas Judentum und Israel in keiner Weise als zimperlich bezeichnet werden. Gleiches gilt für die Äußerungen beispielsweise von Islamisten, islamistischen Rappern oder Salafisten – auch in Europa -, die Andersgläubige unter anderem als Schweine bezeichnen und zu deren Tötung aufrufen.

Was zählt zu Blasphemie?

Was zählt nun überhaupt zur Beleidigung des Islams und zur Blasphemie, warum kann dieser Vorwurf scheinbar so leicht und schnell erhoben werden? Im Strafrecht Pakistans – das als exemplarisch genommen werden kann – gelten die Beleidigung Mohammeds und des Korans als strafbar, nicht aber die Beleidigung Gottes. Unter anderem wird dies mit der Allmächtigkeit Gottes begründet: ihn schützen zu wollen würde seine Allmacht hinterfragen. Natürlich ist aber jegliche Beleidigung Gottes eine Form des Unglaubens und ein Angriff auf den Islam. Beides wird als politischer Akt in den meisten islamischen Staaten verfolgt und ist gesellschaftlich zutiefst verpönt.

In vielen islamischen Ländern ist ein starker Volksglaube mit einem ausgeprägten Heiligen- und Mohammed-Kult verbreitet. Strenggläubige kritisieren diese Volksreligiosität und verurteilen sie oft sogar als Idolatrie oder Polytheismus (shirk). Sie begründen dies unter anderem mit den Suren 3:1820 und 47:19,[1] die besagen, „(…) dass es keinen anderen Gott neben Gott gibt.“ Bereits die Nennung Mohammeds neben Allah (beispielsweise im Glaubensbekenntnis) gilt manchen als shirk. Jede Verzerrung des Korans – auch die Verherrlichung Mohammeds – gilt als Blasphemie. Hintergrund der tiefen Verehrung Mohammeds ist unter anderem, dass er laut koranischer Aussage von den Gläubigen in allem zum Vorbild genommen werden soll. So schreibt etwa Sure 33:16 vor:

„Es geziemt sich nicht den gläubigen Männern und Frauen, wenn Gott und sein Gesandter irgendeine Sache beschlossen haben, sich die Freiheit herauszunehmen, anders zu wählen; denn wer Gott und seinem Gesandten ungehorsam ist, der befindet sich in offenbarem Irrtum.“

Mohammed selbst hat sich nicht eindeutig zu Blasphemie geäußert bzw. in seinem Handeln ein Vorbild gegeben. Klare Anweisungen finden sich im Koran hierzu nicht. In den Hadithen – den Überlieferungen zu Mohammeds exemplarischem Handeln und Äußern – sind zum Teil sehr widersprüchliche Überlieferungen zu Mohammeds Verhalten aufgeführt. Nach manchen Darstellungen soll er Blasphemie mit Geduld und Vergebung begegnet sein, nach anderen Überlieferungen mit harter Hand: Zwei kleine Beispiele aus den Hadith-Sammlungen:

Eine alte Frau namens Mekkah soll Mohammed in Medina regelmäßig mit Schmutz beworfen haben, wenn er ihr Haus passierte. Als sie eines Tages krank war, soll er für sie gebetet haben, woraufhin sie sich bekehrte.

Als andererseits die Dichterin Asma bint Marwan Mohammed verspottete, soll er zur Rache seiner Person aufgerufen haben. Nachts im Schlaf soll sie von einem Gefolgsmann Mohammeds erstochen worden sein. Ähnlich erging es Dichtern in Medina und Mekka oder jüdischen Stämmen Medinas, die ihn kritisierten, sein Prophetentum anzweifelten oder ihn nicht in seinem Kampf gegen die mekkanischen Feinde unterstützten.

„Apostasie, Häresie, Unglaube und Blasphemie sind untrennbar“

Die Betrachtung der arabischen Termini für Blasphemie gibt bereits Aufschluss über die eigentliche Problematik und Breite der möglichen Beschuldigungen. Das arabische Wort kurf steht für Blasphemie. Zugleich bedeutet es Häresie und Unglaube. In Verbindung mit Blasphemie sind immer auch die Begriffe irtidad (Apostasie) und shirk (Polytheismus) zu nennen. Die Begriffe für Apostasie und Blasphemie sind weitgehend austauschbar. Ein Apostat (murtadd) wird zu einem kafir, einem Ungläubigen.

Der Abfall vom Islam bedeutet nicht nur Häresie, einen Angriff auf den Islam, die islamischen Werte und die islamische Gesellschaft. Diese Form des Unglaubens ist zugleich Blasphemie. Apostasie, Häresie, Unglaube und Blasphemie sind daher nicht unabhängig voneinander zu betrachten, sie sind untrennbar. Neben der Äußerung von Zweifeln bzw. Kritik am Koran gelten als Blasphemie und Unglaube, wenn der Name Gottes, Mohammeds, der Koran oder seine Inhalte beleidigt, kritisiert oder angezweifelt werden. Dazu zählt zudem, wenn jemand die Pflichten des Islams bzw. die Scharia vernachlässigt oder hinterfragt. Von manchen Rechtsgelehrten werden detailliert bis zu 300 Delikte aufgeführt, die als Blasphemie oder Form des Unglaubens zu werten sind.[2]

All dies zählt zu muharraba, also Feindschaft bzw. Kampf gegen den Islam. Blasphemie wird von den Theologen überwiegend als Sünde gewertet, die nicht vergeben werden kann. Der muslimische Rechtsgelehrte und Theologe Ibn Taymiya (gest.1328) legte fest, dass sowohl Muslime als auch Nichtmuslime für die Beleidigung des Propheten getötet werden sollten, selbst wenn sie hinterher Reue zeigten.

Laut Sure 2:256 gibt es „keinen Zwang“ in der Religion. Unklar ist jedoch, worauf sich dies genau bezieht, denn diese Freiheit von Zwang wird nach der Scharia weder Muslimen noch tolerierten Andersgläubigen völlig gewährt. Die Tradition und die Praxis beweisen, dass diese Sure 2:256 bislang ganz klar definiert ist und sich vor allem auf eine umgrenzte Vielfalt islamischer Lehrmeinungen bezieht.

Für Andersgläubige bedeutet Sure 2:256, dass vorislamische monotheistische Offenbarungsreligionen ihren Glauben unter islamischer Herrschaft mit Einschränkungen praktizieren dürfen. Die Freiheit von Zwang endet jedoch beispielsweise beim Religionswechsel der Muslime. Bislang wird im traditionellen Islam grundsätzlich nicht Politik von Religion unterschieden. Der Abfall vom Islam – oder oft auch nur die kritische Auseinandersetzung mit dem Islam – wird mit Verrat an Staat und Gesellschaft gleichgesetzt. Apostasie ist demnach ein religiöser, gesellschaftlicher und politischer Akt. Der Abfall vom Islam ist allgemein verpönt, und innerhalb islamischer Gesellschaften werden selten Stimmen zur Verteidigung der so genannten Apostaten laut.

Sure 2:256 wird darüber hinaus gerne als abrogiert dargestellt. Das heißt, sie gilt unter anderem als durch die spätere Sure 9:5 aufgehoben, wonach jeglicher Unglaube zu bekämpfen ist.[3] Die Koran-Aussagen, dass der Abfall vom Islam von Gott im Jenseits bestraft werden wird, bleiben in der Praxis unbeachtet. Vielmehr werden auch hier Hadithe herangezogen,[4] die eine diesseitige Bestrafung für Apostasie anordnen. Da die Hadithe als Ausdruck göttlichen Willens gelten, ist es also auch blasphemisch, diese anzuzweifeln.

Als Blasphemie gilt Muslimen unter anderem die Erklärung der Gottessohnschaft Jesu. Hierzu finden sich zahlreiche Suren.[5] Hierbei wird der Trinitätsgedanke oftmals irrtümlich mit einem körperlichen Zeugungsakt Gottes und einer physischen Verwandtschaft assoziiert. Jeglicher Trinitätsgedanke (wie er oft auch bei islamischen Gruppen wie den syrischen Alawiten, Drusen oder auch einigen mystischen Bruderschaften existiert) gilt als shirk, als Unglaube bzw. Häresie und wird gemäß Suren 29:25 und 48:6 verurteilt.[6]

Handhabungen bei Blasphemie und Beleidigung des Islams

In verschiedenen islamischen Ländern wird auf Grundlage einer Scharia-Interpretation Religionsbeleidigung verfolgt. Der Islam gilt Muslimen als natürliche, angeborene Religion und jedes Kind eines muslimischen Elternteils ist automatisch Muslim. Eine Hinwendung zu einer anderen Religion oder zum Atheismus steht nicht frei.

In heutigen islamischen Strafgesetzbüchern existieren nicht immer klare bzw. einheitliche Gesetze zu Apostasie und Blasphemie. Dies ermöglicht einerseits einen oftmals pragmatischen Umgang mit Apostaten, ist andererseits aber auch Grundlage für Willkür.[7] Die auf der Scharia beruhenden Strafmaße zu Apostasie variieren in den verschiedenen Ländern, finden aber oft auch da Umsetzung, wo sie nicht explizit im Strafgesetzbuch verankert sind. Im Iran können gemäß Art. 513 des Strafrechts Beleidigungen der islamischen Religion mit Gefängnis oder Todesstrafe belegt werden. Die Beleidigung Khomeinis oder der religiösen Führer wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren geahndet.[8] Artikel 6 und 26 des Pressegesetzes verbieten ebenso jedwede Äußerungen oder Aktionen gegen den Islam.[9] Seit 2006 liegt in Iran ein Gesetzesentwurf zur endgültigen Verabschiedung vor, der eine konsequente und eindeutige, Scharia-konforme Verfolgung und Bestrafung von Apostasie mit dem Tod anordnet.

In Saudi-Arabien werden sowohl das öffentliche Bekenntnis einer anderen Religion als auch die private, persönliche religiöse Praxis von Nichtmuslimen bzw. Konvertiten als Angriff auf den Islam gewertet.[10] In Ägypten sollen beispielsweise 2008 rund 150 Konvertiten unter dem Vorwurf der Staatsgefährdung in Haft gewesen sein.[11] Die Zahl der Prozesse gegen Konvertiten ist unter der Regierung der Muslimbrüder sprunghaft angestiegen.[12] Die sudanesische Verfassung sichert jedem Religionsfreiheit zu, jedoch wird Apostasie und Proselytentum als Angriff auf den Islam verfolgt. Als Basis hierfür gelten Sure 2:191, 193 und 217.[13] Sie verurteilen die Versuchung eines Muslims, seine Religion zu verlassen und befinden dies für schwerwiegender als Mord. 1991 wurde Apostasie zu einem todeswürdigen Delikt erklärt.

Die angeführten Beispiele verdeutlichen, dass die Kritik oder Beleidigung des Islams sowohl durch Nichtmuslime als auch Muslime in zahlreichen Ländern ein Straftatbestand ist. Abgesehen von diesen offiziellen, oft vom Staatsapparat und der islamischen Orthodoxie vertretenen Auffassungen, gibt es zahlreiche islamische Gelehrte, die den Umgang mit Religionsfreiheit in der islamischen Welt sowie die Menschenrechtslage harsch kritisieren. Für sie sind Blasphemie und Apostasie, ähnlich wie das Thema Jihad, massenwirksame, manipulative Instrumente, die gerne von sogenannten oder selbst ernannten „Verteidigern des Islams“ auch gegen unliebsame Mitglieder der Gesellschaft, Konkurrenten oder Gegner eingesetzt werden. Oftmals wird zugleich der Vorwurf der Blasphemie, Häresie, Apostasie, des Unglaubens und des Angriffs auf den Islam erhoben, um eine Verurteilung sicherzustellen.

Die Schicht der islamischen Gelehrten, die ein Überdenken der eigenen Religion und Werte propagieren, wächst – wobei diese sich damit oftmals in Gefahr bringen: Der ägyptische Gelehrte Faruq Foda wurde 1992 auf offener Straße erschossen, Nasr Hamed Abu Zaid musste als Apostat 1995 Ägypten verlassen. Sie alle haben sich kritisch mit dem Koran und seinen Interpretationsmöglichkeiten auseinandergesetzt. Sayyid al-Qimni wiederum wagte es 2006, die gängige Darstellung der islamischen Frühzeit in Mekka und Medina zu dekonstruieren und bekommt seitdem von der ägyptischen Terrorgruppe „Islamischer Jihad“ Todesdrohungen. Professor Hassan Hanafi plädierte 2006 bei einer Vorlesung in der Bibliotheca Alexandrina für ein metaphorisches Verständnis der Attribute Allahs, er wurde daraufhin der Blasphemie bezichtigt. Belletristen wie Nagib Mahfus und Salman Rushdie hatten bzw. haben wegen angeblicher Verunglimpfung des Korans um ihr Leben zu fürchten.

Kritische Betrachtung des Korans

Basisdogma des heute als „orthodox“ bezeichneten Islams ist, dass der Allah des Korans und Mohammed in ihrem Wirken nicht hinterfragbar sind. Unanzweifelbar gilt: Der im Himmel befindliche Urkoran, die „Mutter aller Bücher“, enthält den unverfälschten Willen Allahs, der Mohammed in arabischer Sprache offenbart wurde. Eine historisch-kritische Erforschung des Korans gilt daher als Blasphemie. Die Autorität des Korans steht über jeder Autorität menschlicher Verfassungen oder anderer Gesetze, selbst wenn es um Menschenrechte geht.

Wissenschaftler islamischer Länder, die sich historisch, philologisch, semantisch, analytisch oder in irgendeiner Weise kritisch mit dem Koran auseinandersetzen, haben generell den Vorwurf der Blasphemie und Apostasie zu fürchten. Verschiedene fundamentalistische Bewegungen bekämpfen jegliche Art des Nachdenkens über den Islam oder textkritische Untersuchungen des Korans. Ihrer Meinung nach kann dieses vor knapp 1400 Jahren direkt aus dem Himmel gekommene Buch der Bücher keine menschliche Entstehungs- bzw. Entwicklungsgeschichte kennen.

Der tunesische Professor Moncef Ben Abdeljalil arbeitet an einer textkritischen Ausgabe des Korans und untersucht mit einem Team jene Koran-Pergamente, die vor 30 Jahren in der Moschee von Sana gefunden wurden sowie die ältesten existierenden Koranmanuskripte. Dabei wurden Unterschiede zu der offiziell anerkannten Version des Korans festgestellt. Die Originale dieser Koranpergamente aus dem Jemen werden heute von Saudi-Arabien unter Verschluss gehalten, Mikrofilmkopien liegen in Tübingen vor, durften aber zunächst nicht öffentlich untersucht werden. Kurz nach der öffentlichen Darstellung erster Ergebnisse verweigerte Abdeljalil jegliche weitere Aussagen zu seinen Untersuchungen. Weitere Informationen durch ihn oder sein Team seien gegen Ende der Studien – in etwa 10 bis 15 Jahren – zu erwarten.

Gegenwärtige Entwicklung

Die derzeitigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen deuten nicht auf einen baldigen Wandel der Verhältnisse hin – also auch in Bezug auf die Betrachtung des Korans und der Scharia. Die islamische Welt ist in ihrer gesellschaftlichen und politischen Ausrichtung nach wie vor stark geprägt von einem Verband der orthodoxen religiösen Führer mit den jeweiligen herrschenden Eliten. Ihnen liegt es vor allem am Erhalt des Status quo und damit der bestehenden Machtverhältnisse. Diese Verquickungen von Religion und Politik erhalten weiter die Lehrmeinung aufrecht, dass der Koran nicht interpretierbar ist. Vorerst wird er also wohl nicht als Produkt seiner Zeit in seinen gesetzlichen und gesellschaftlichen Aussagen kritisch betrachtet und unter Bezug zum hier und jetzt relativiert werden.

Der konservative Islam gewinnt heute einerseits in islamischen Gesellschaften zunehmend an Attraktivität und Zulauf – wohl auch, weil westliche, demokratische und wirtschaftsliberale Modelle enttäuscht und kaum noch Überzeugungskraft haben. Vermehrt wird der Koran jüngeren Leuten – zunehmend auch Studenten – ganz neu zum „Schlüssel zu dieser Welt“ und zum „Wegweiser gegen alle Ungerechtigkeit“. Neben dem Sakralen des Korans hat sicher auch das Bewusstsein Zugkraft, zu der „auserwählten“ Gruppe der einzig Rechtgläubigen zu gehören. Auf der anderen Seite mehren sich alternative islamische Sichtweisen – vom liberalen oder gemäßigt „bildungsbürgerlichen“ Islam bis hin zu fundamentalistischen Ideen. Zugleich werden vehemente Forderungen nach umfassenden Reformen und Demokratisierung laut. Manche begründen diese aus einer Neuinterpretation des Korans heraus, andere versuchen sich an frühen, liberaleren islamischen Gesellschaftsmodellen zu orientieren, wieder andere streben dann doch längerfristig eine Ablösung der Religion von der Politik an.

Und dann gibt es da noch die mystischen Denker und Sufi-Gemeinschaften, die auf verschiedene Weisen nach der Erkenntnis Gottes suchen. Die meisten von ihnen lehnen Orthodoxie, Jihadismus und Fundamentalismus gänzlich ab. Der Vorwurf der Blasphemie richtete bzw. richtet sich seitens der Orthodoxen auch heute noch gerne gegen sie und ihre Vorstreiter. Ihre berühmtesten Vertreter aber werden bis in die Gegenwart von vielen Muslimen verehrt und zitiert.

Der berühmte persische Mystiker Hafez (gest. 1390) etwa schrieb:

Trink Wein, denn hundert Sünden,
von Fremden hinterm Vorhang begangen,
sind besser als ein (Gottes-)Gehorsam,
der mit Heuchelei und Gleisnerei betrieben wird.[14]

Nach dem Freunde sehnt sich Jeder,
Leb‘ er nüchtern, trink‘ er Wein;
Liebe haust an jeder Stätte,
Mag’s Moschee, mag’s Kirche sein.[15] Die Kaba und des Weines Haus,
Sie gleichen sich gar sehr,
Denn, wo du hin in beiden blick’st,
Allüberall ist Er.[16]

Und bei dem großen mystischen Gelehrten – Mathematiker, Philosoph, Astronom und Dichter – Omar Khayyam (gest. 1123) heißt es:

Viel köstlicher als aller Ruhm der Erde
Ist’s, einen Trunk aus vollem Glas zu tun;
Viel köstlicher und Gott gefälliger
Als frommes Plappern ist der Hauch des Glückes,
Der leis vom Munde der Verliebten weht.[17]

Zur Autorin

Die Islamwissenschaftlerin Dr. Petra Uphoff promovierte über die Situation und rechtliche Stellung von Nichtmuslimen im Iran. Sie ist Dozentin zu Themen des Islams, arbeitete mit muslimischen Migranten in Deutschland und publiziert u.a. zu Menschenrechtsfragen.

Weitere Infos zu Blasphemie

Endnoten

1 Sure 47:19 „Sei dir nun dessen bewusst, dass es keinen Allah gibt außer Allah, und bitte (ihn) um Vergebung für deine (eigene) Schuld und für die gläubigen Männer und Frauen! …“
2 Zu den Vorwürfen gehört, die Einzigkeit Gottes anzuzweifeln oder zu behaupten, Allah sei wie alles andere erschaffen oder entstanden bzw. er habe ein gewisses Aussehen oder eine Form, den Koran anzuzweifeln oder die Gültigkeit eines seiner 78.090 Wörter zu hinterfragen, den Koran absichtlich zu beschädigen, zu beschmutzen, zu verbrennen, mit schmutzigen Fingern zu berühren, auf den schmutzigen Boden zu legen. Dies gilt als Blasphemie und Apostasie.
Jeder, der einen Propheten nach Mohammed anerkennt, Mohammed verflucht, sein Ansehen schmälert, ihm Schwäche oder Krankheit unterstellt, sein Wissen und seine Weisheit anzweifelt, wer die Scharia, die vier sunnitischen Rechtsschulen, ihre Gesetzgebung und Vorschriften anzweifelt oder umkehrt, wer die Engel als Botschafter Gottes anzweifelt, sie verspottet, wer die Seelenwanderung bezeugt, wer die Welt für ewig existent und damit die Auferstehung der Toten anzweifelt, gilt als Apostat.
3 Sure 9:5: „Und wenn nun die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo (immer) ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf! Wenn sie sich aber bekehren, das Gebet verrichten und die Almosensteuer geben, dann lasst sie ihres Weges ziehen! Allah ist barmherzig und bereit zu vergeben.“
4 Die bekannte Hadith-Kompilation „Sahih“ des al-Buchari (gest. 870) enthält beispielsweise die Anweisung Mohammeds, dass derjenige, der seine Religion wechselt (vom Islam weg), getötet werde solle.
5 Beispielsweise die Suren 5:116, 4:147, 4:171, 5:73, 6:106.
6 Sure 29:25: „Und er sagte: ,Ihr habt euch nur deshalb an Allahs Statt Götzen (zum Gegenstand eurer Verehrung) genommen, weil ihr im diesseitigen Leben einander in Freundschaft verbunden seid(?). (Aber) dereinst (w. Hierauf), am Tag der Auferstehung, werdet ihr nichts mehr voneinander wissen wollen und einander verfluchen.“
Sure 48:6: „Und er möchte die heuchlerischen und die heidnischen Männer und Frauen die über Allah schlimme Mutmaßungen anstellen, bestrafen. Über sie wird eine schlimme Schicksalswendung kommen. Allah ist(?) zornig über sie und hat(?) sie verflucht, und er hat die Hölle für sie bereit – ein schlimmes Ende!“
7 Wenn sich jemand durch „freies Denken“ nicht zum Islam entscheidet bzw. den Islam sogar verlässt, wird er oftmals per Gerichtsentschluss als geistig verwirrt dargestellt, oder es wird postuliert, er habe nicht richtig nachgedacht. Jede andere Einstellung zu Meinungs- und Religionsfreiheit wird damit abgetan und als irrational, emotional, als Blasphemie und Schädigung der muslimischen Gemeinschaft gewertet. Die Verbreitung solcher Gedanken ist daher nicht zu erlauben.
8 „Chapter Two- Insulting sacred religious values and criminal attempt on national authorities
Article 513- Anyone who insults the sacred values of Islam or any of the Great Prophets or [twelve] Shi’ite Imams or the Holy Fatima, if considered as Saab ul-nabi [as having committed actions warranting the hadd punishment for insulting the Prophet], shall be executed; otherwise, they shall be sentenced to one to five years’ imprisonment.
Article 514- Anyone who, by any means, insults Imam Khomeini, the founder of the Islamic Republic, and/or the Supreme Leader shall be sentenced to six months to two years’ imprisonment.
Article 515- Anyone who makes an attempt on the lives of the Supreme Leader or the Heads of Powers [of the Executive, Judiciary and Legislature] or the Grand Ayatollahs, if not considered as mohareb, shall be sentenced to three to ten years’ imprisonment.”
iranhrdc.org/english/human-rights-documents/iranian-codes/1000000351-islamic-penal-code-of-the-islamic-republic-of-iran-book-five.html, Zugriff Januar 2015.
9 Shaykh as-Sadūq quotes a sahíh hadith from Muhammad bin Muslim who said that (Imam) Abu Ja`far (al-Baqir) (a.s.) said, “Whoever rejects the prophethood of a prophet/messenger and considers him untrue, then his blood is lawful.”
5. Shaykh al-Kulayni quotes a sahíh hadith from Muhammad bin Muslim who said, “I asked (Imam) Abu Ja`far (al-Baqir) (a.s.) about the murtad.” He said, “Whoever turns away from Islam and rejects what has been revealed to Muhammad (s.a.w.) after he had been a Muslim, then there is no repentance for him; rather it is obligatory to kill him; and his wife should separate from him, and his wealth should be distributed among his heirs.”
10 www.barnabasfund.org/Apostasy/application.htm. In den letzten Jahren lassen sich verschiedenste Fälle von Verschwindenlassen, willkürlichen Verhaftungen, unfairen Gerichtsverfahren und Einzelhaft aufzählen, wenn politische Opposition, Blasphemie, Apostasie, Feindschaft gegen den Islam oder den islamischen Staat vorgeworfen wurden.
11 www.barnabasfund.org/Apostasy/application.htm (aktualisieren!!)
12 www.igfm.de/ne/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=2714&cHash=a6a475cdbeb089860d5ef16ecbb09b8a, Zugriff Januar 2015.
13 Sure 2:191: „Und tötet sie (d. h. die heidnischen Gegner), wo (immer) ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben! Der Versuch (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen ist schlimmer als Töten. Jedoch kämpft nicht bei der heiligen Kultstätte (von Mekka) gegen sie, solange sie nicht (ihrerseits) dort gegen euch kämpfen! Aber wenn sie (dort) gegen euch kämpfen, dann tötet sie! Derart ist der Lohn der Ungläubigen.“
Sure 2:193: „Und kämpft gegen sie, bis niemand (mehr) versucht, (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen, und bis nur noch Allah verehrt wird! Wenn sie jedoch (mit ihrem Allah-losen Treiben) aufhören (und sich bekehren), darf es keine Übertretung geben (d. h. dann sind alle weiteren Übergriffe untersagt), es sei denn gegen die Frevler.“
Sure 2:217: „Man fragt dich nach dem heiligen Monat, (nämlich) danach, (ob es erlaubt ist) in ihm zu kämpfen. Sag: In ihm Kämpfen ist ein schweres Vergehen (w. wiegt schwer). Aber (seine Mitmenschen) vom Weg Allahs Abhalten – und nicht an ihn Glauben -, und (Gläubige) von der heiligen Kultstätte (Abhalten), und deren Anwohner daraus Vertreiben, (all das) wiegt bei Allah schwerer. Und der Versuch, (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen, wiegt schwerer als Töten. Und sie (d. h. die Ungläubigen) werden nicht aufhören, gegen euch zu kämpfen bis sie euch von eurer Religion abbringen – wenn sie (es) können. Und diejenigen von euch, die sich (etwa) von ihrer Religion abbringen lassen und (ohne sich wieder bekehrt zu haben) als Ungläubige sterben, deren Werke sind im Diesseits und im Jenseits hinfällig. Sie werden Insassen des Höllenfeuers sein und (ewig) darin weilen.“
14 Wohlleben, Joachim: Die Ghaselen des Hafiz. S. 272.
15 Hafis. Rosenzweig-Übersetzung. I. Bd, S. 149.
16 Hafis. Rosenzweig-Übersetzung. I. Bd, S. 273.
17 Khayyam – Robaiyat. www.irania.eu/Gedichte/khayyamrobaiyat.html, Zugriff Januar 2015.

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