Das stille Verschwinden Tibets

Anlässlich des 65. Jahrestag des Aufstandes in Tibet gegen die chinesische Zwangsherrschaft nahm IGFM-Vorstandsmitglied Michael Leh an einer internationalen Zoomkonferenz mit bedeutenden Exil-Tibetern, chinesischen Dissidenten und Taiwan-Repräsentanten teil.
Beitrag von IGFM-Vorstandsmitglied Michael Leh
Veröffentlicht am 11. März 2024
In diesen Tagen wird im deutschen Fernsehen ein anderthalbstündiger Film über die Geschichte und Gegenwart Tibets gezeigt. In deutscher und französischer Sprache im Fernsehsender ARTE. Der Film trägt den Titel „Das stille Verschwinden Tibets“.
Dieser Titel ist bezeichnend und besorgniserregend. Tibet darf nicht aus dem Bewusstsein der Menschen und der politischen Öffentlichkeit verschwinden. Aber die Gefahr besteht. Aktuell trägt auch noch der furchtbare Krieg Russlands gegen die Ukraine dazu bei. Denn ein Großteil der Aufmerksamkeit und Energie des Westens ist dadurch absorbiert.
Auf tibetischer Seite gab es wohl die Hoffnung, dass durch die – in Anführungszeichen – „Freundschaft“ Pekings und Moskaus jetzt auch China kritischer gesehen würde. Das ist nicht ganz falsch. Aber China verhält sich weiter aggressiv, wie man es auch ständig bezüglich Taiwans sehen kann oder im südchinesischen Meer.
Als auf der Münchner Sicherheitskonferenz der chinesische Außenminister Wang Yi seine Propagandaparolen von sich gab, klatschte das Publikum auch noch. Möglicherweise nur aus Dummheit und Oberflächlichkeit. Aber das macht es nicht besser. Viel hat Tibet auch weiterhin wohl nicht vom „Westen“ zu erwarten. Das Wichtigste ist wohl, dass Tibeter bei uns Asyl bekommen können. Aber den Tibetern in Tibet hilft das nicht viel.
Die Einwirkungsmöglichkeiten auf Peking sind sehr begrenzt. Wir haben gesehen, wie die letzten Freiheiten in Hongkong niedergeschlagen wurden. Wir sehen, wie brutal Peking gegen die Uiguren vorgeht. Gerade haben wir gesehen, wie brutal China gegen die Tibeter vorging, die gegen den geplanten Staudamm in der osttibetischen Region Derge (Dege) protestieren. Berichten zufolge wurden rund 1000 Tibeter festgenommen, viele wurden geschlagen. Dabei geht es um die voraussichtliche Zerstörung von sechs alten Klöstern und vieler weiterer historisch und religiös wertvoller Kulturgüter. Es ist bewegend zu sehen, wie die Tibeter sie retten wollen und den Mut haben, trotz starker chinesischer Polizeigewalt dafür zu kämpfen.
Die Tibeter kämpfen seit vielen Jahren dafür, dass ihre Lage mehr beachtet wird. Dabei wurden auch Erfolge erzielt. Das ist weiter nötig. Denn das mächtige China setzt weiter seine Politik fort, rücksichtslos die religiöse, politische, historische, kulturelle und sprachliche Identität der Tibeter auszuradieren. Dabei gehen die chinesischen Kommunisten in ihrer Kontrollsucht immer totalitärer vor. Sie benutzen die modernsten technologischen Überwachungsmethoden. Auch das massenhafte Sammeln von DNA-Proben der tibetischen Bevölkerung.
In dem von mir erwähnten Film „Das stille Verschwinden Tibets“ erklärt der Sonderberichterstatter der UN für Minderheitenfragen, Fernand Varennes – ich zitiere: „China versucht, die tibetische Kultur und Sprache auszulöschen. Ich würde sogar so weit gehen, von kulturellem Völkermord zu sprechen.“ – Zitat Ende. – Varennes sprach auch von Zwangsassimilation.
Die Verbringung tibetischer Kinder fernab von ihren Eltern in Internate erinnert auch etwas an die massenhafte Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland durch die russischen Invasoren. Auch damit soll die nationale und kulturelle Identität der Ukrainer zerstört werden. Der Internationale Strafgerichtshof hat dagegen zu Recht einen internationalen Haftbefehl für die russischen Verantwortlichen ausgestellt. Das ist ein Fortschritt. Es liegt ein internationaler Haftbefehl gegen Putin vor, auch wenn er noch nicht vollstreckt werden kann. Schon jetzt wagt es Putin nicht mehr, in jedes Land zu reisen, in das er eigentlich gern reisen möchte. Genauso muss versucht werden, noch besser und schärfer alle international-rechtlichen Mittel gegen chinesische Verantwortliche für die Unterdrückung der Tibeter einzusetzen.
Die deutsche Regierung hat letztes Jahr eine neue sogenannte Chinastrategie verabschiedet. Darin stehen manche kritische Formulierungen gegenüber China. Vielfach bleibt es aber leider auch nur bei Allgemeinplätzen. Tibet wird nur ein einziges Mal kurz erwähnt, und zwar im folgenden Absatz auf Seite 24 über die „Wahrung der Menschenrechte“ – ich zitiere:
„Wir werden uns in unseren Beziehungen zu China weiter für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen, auch in konkreten Einzelfällen. Dies betrifft insbesondere die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen u.a. an den Uigurinnen und Uiguren in Xinjiang, über die auch die Vereinten Nationen berichten, die Lage in Tibet, die Lage in Hongkong, die Lage ethnischer und religiöser Gemeinschaften sowie die deutlich verschlechterte Situation von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern.“ – Zitat Ende.
Bis jetzt gewinnt man nicht den Eindruck, dass sich in der deutschen China-Politik viel geändert hat und ändern wird gegenüber der Ära Merkel. Als Bremser gilt allgemein Bundeskanzler Scholz und seine sozialdemokratische Partei, während die Koalitionspartei FDP und die Grünen insbesondere auch in der Politik gegenüber Taiwan fortschrittlicher und konstruktiver sind.
Eine richtige „Zeitenwende“ in der deutschen China-Politik ist noch nicht erfolgt. Dafür muss weiter gearbeitet werden. Ich hoffe, dass das dann auch Tibet und den Tibetern zugute kommt.
Die Arte-Doku sowie weitere Informationen finden Sie unter folgenden Links:
https://www.arte.tv/de/videos/111739-000-A/tibet-china-das-stille-verschwinden/