Menschenrechte nur eine Fata Morgana

Ägypten betreibt in großem Umfang Menschenrechtsverletzungen. Das Militär hat enormen Einfluss.

       Urlaubsziel Ägypten – nicht vom schönen Schein blenden lassen

Kairo/Frankfurt am Main, 5. März 2020 – Pyramiden, das Tal der Könige, das alte islamische Kairo und fantastische Tauchspots verbinden viele Deutsche mit dem Reiseziel Ägypten. Die wenigsten wissen, dass seit der Machtergreifung des Militärs im Juli 2013 tausende Ägypter willkürlich verhaftet und gefoltert worden sind, erklärt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind stark eingeschränkt, Regierungskritikern wird mit extremer Gewalt begegnet und Zivilisten müssen sich vor Militärgerichten verantworten.

Unter dem früheren Feldmarschall und Geheimdienstchef, Präsident Abdel Fattah al-Sisi, ist die Menschenrechtssituation in Ägypten aufgrund des zunehmenden islamischen Fundamentalismus verheerend. Besonders Kopten, Nubier, Frauen und Journalisten werden diskriminiert, verfolgt, gefoltert und eingesperrt – Menschenrechte sind hier nur eine Fata Morgana, so die IGFM. Urlauber sollten sich vorab über die Destination informieren, sich nicht vom schönen Schein blenden lassen, sondern gut aufgeklärt ins Land reisen.

Christen als Zielscheibe von Hass und Gewalt

Das fundamentale Menschenrecht der Religionsfreiheit wird in Ägypten durch die Scharia stark eingeschränkt, denn diese gilt als Basis der Gesetzgebung. Obwohl Artikel 64 der Verfassung Glaubensfreiheit garantiert, sind Konvertiten – die sich zum Christentum bekennen – nicht von der Verfassung geschützt. Kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen einem Muslim und einem Nichtmuslim, gilt damit die Scharia. Wer als Christ beispielsweise den Islam kritisiert, läuft in Ägypten Gefahr, von einem Mob verfolgt und verprügelt zu werden. Besonders betroffen sind die koptischen Christen, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung stellen. Sie litten schon immer unter sozialer Diskriminierung – zum Beispiel im Bereich der Ausbildung oder der Gesundheitsversorgung. Seit islamisch-extremistische Gruppierungen stärker geworden sind, werden die Christen zunehmend als Bürger zweiter Klasse betrachtet. „Besonders stark ist der Druck bei Christen muslimischer Herkunft“, erklärt Martin Lessenthin. In ländlichen Gebieten und im südlichen Teil des Landes ist die Situation für Kopten noch schwieriger: Oftmals verstecken sie christliche Symbole aus Angst, um nicht zur Zielscheibe von Hass und Gewalt zu werden.

Rami Kamil ist „Gefangener des Monats Februar“

Diskriminierung und Ausgrenzung gehören somit in Ägypten zum Alltag der Christen. Schlimmer noch: Da sie nicht als vollwertige und gleichberechtigte Bürger angesehen werden, können sie auf den Schutz des Staates nicht zählen. Weil sie sich nicht verschleiern, sind christliche Frauen auch vermehrt Opfer sexueller Übergriffe. „Wer Christen schadet, wird zum Beispiel oft nicht strafrechtlich verfolgt“, berichtet Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der IGFM und fügt hinzu: „Gleichheit vor dem Gesetz und Religionsfreiheit existieren in Ägypten schlichtweg nicht.“ Der ägyptische Menschenrechtsverteidiger Rami Kamil ist Koordinator der christlichen Menschenrechtsgruppe „Maspero Youth Union“. Er gehört der koptisch-orthodoxen Minderheit an. Kamil setzt sich für die Gleichberechtigung der Christen in Ägypten sowie einen wirksameren Schutz derselben vor extremistischer Gewalt ein. Der 33-Jährige ist im November 2019 festgenommen worden, weil er angeblich Mitglied einer terroristischen Vereinigung sei und den öffentlichen Frieden gestört habe. Der IGFM zufolge entbehren die Vorwürfe hingegen jeglicher Grundlage.

Gewalt statt Gleichberechtigung

Nicht nur christliche Frauen, sondern alle Frauen können in Ägypten von Gleichberechtigung nur träumen. So ist häusliche Gewalt genau wie Kindesheirat nicht verboten. Auch die weibliche Genitalverstümmelung ist gängige Praxis, obwohl sie seit 2008 offiziell illegal ist. Während das offizielle Heiratsalter in Ägypten 18 Jahre ist, werden besonders in armen ländlichen Gegenden Frühehen nach islamischen Recht geschlossen. „Durch die frühe Verheiratung und das damit einhergehende Brautgeld erhofft sich die Familie eine bessere ökonomische Absicherung“, erläutert Lessenthin. Nicht selten komme es daher zu Entführungen und Zwangsverheiratungen. Frauen erfahren aber auch im alltäglichen Leben vielfältige Diskriminierungen – so wird ihnen das Sorgerecht für die Kinder verweigert, die Einhaltung religiöser Kleidungsvorschriften erzwungen, sie werden im Berufsleben schikaniert oder leiden unter verschiedensten Arten der häuslichen Gewalt. Hinsichtlich der sexuellen Belästigung an Frauen nimmt Ägypten einen traurigen Spitzenplatz ein.

Journalisten jahrelang ohne Anklage inhaftiert

Als im September 2019 tausende friedliche Demonstranten auf die Straße gingen, reagierten die ägyptischen Behörden mit einer breiten Verhaftungswelle. Innerhalb weniger Wochen wurden rund 4.000 Bürger festgenommen – darunter auch Menschenrechtler, Gewerkschafter und Journalisten. „Die Regierung versucht die Menschenrechte Stück für Stück auszuschalten und fürchtet nichts mehr als die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit“, so Lessenthin. Inzwischen ist Ägypten eines der Länder mit den meisten inhaftierten Journalisten, die oft jahrelang ohne Anklage im Gefängnis ausharren müssen. Laut Reporter ohne Grenzen sind dort aktuell 24 Journalisten und vier Blogger in Haft. Zensur ist in Ägypten an der Tagesordnung. So werden Artikel über Themen wie Inflation oder Korruption, die der Regierung unangenehm sind, nicht geduldet. Wer versucht, seine kritischen Texte online zu verbreiten, stößt auch immer mehr auf Widerstand, da pro Jahr hunderte Webseiten blockiert werden. „Hinter der traumhaften Urlaubskulisse Ägyptens leiden viele Bürger des Landes“, zieht Martin Lessenthin Bilanz. Die IGFM rate aber nicht von Reisen nach Ägypten ab, sondern wolle ein Bewusstsein dafür schaffen, wie die Menschenrechtssituation des Landes sei und was sich abseits der Touristenhotspots ereigne.

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