Ehrenmorde: Ein Interview mit Rechtsanwältin Gülsen Celebi

Rechtsanwältin Gülşen Çelebi betreut zahlreiche Fälle von häuslicher Gewalt, Zwangsheirat und Ehrenmorddrohungen. Bild: Gülşen Çelebi

Gülşen Çelebi betreut als Rechtsanwältin in Düsseldorf zahlreiche Fälle von Frauen mit islamischem Hintergrund. Oft geht es um Scheidung aus einer Zwangsheirat, Ehrenmorddrohungen und häusliche Gewalt. Celebi hat in ihrem Buch „Kein Schutz, nirgends“ (Heyne, 2008) die Genese eines Ehrenmords detailliert aufgezeigt. Das Buch darf jedoch nicht mehr verkauft werden, da die Schwester eines Opfers eine einstweilige Verfügung wegen „Verletzung der Persönlichkeitsrechte“ eingereicht hat. Ein Landgericht bestätigte dies.

IGFM: Frau Çelebi, was ist ein Ehrenmord?

Gülşen Çelebi: Ein Ehrenmord ist ein Mord im Namen der Ehre, nicht etwa ein doch irgendwie ehrenhafter Mord. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mörder als Motiv explizit Ehre angibt oder nicht. Es gibt Ehrenmorde, bei denen der Mörder das Wort „Ehre“ nicht in den Mund nimmt, sondern auf Affekt plädiert, zum Beispiel, weil er sich davon eine milde Strafe verspricht. Umgekehrt gibt es auch Morde, die nur als Ehrenmorde getarnt sind, beispielsweise, weil der Mörder sich dadurch Verständnis in seiner Community erhofft.

IGFM: Aber wodurch wird ein Mord dann zum Ehrenmord?

Gülşen Çelebi: Das zugrunde liegende Motiv eines Ehrenmords ist, dass der Frau das Recht auf freie Lebensgestaltung abgesprochen wird. Typische Merkmale eines Ehrenmords sind: Die Tat ist geplant und öffentlich inszeniert. Sie wird von der Familie gestützt, wenigstens geduldet. Viele Ehrenmorde geschehen in einer Trennungssituation, manchmal reicht es aber, dass eine Frau „zu westlich“ lebt, wie im Berliner Fall Hatun Sürücü oder im Hamburger Fall von Morsal Obeidi. Oft ist es schon vorher zu Gewalt gekommen, darunter viele Stalkingfälle. Damit demonstriert der Mann:“Du hast Dein Leben nicht für Dich, ich habe Macht über jede Sekunde.“ Natürlich weist nicht jeder Ehrenmord fein säuberlich all diese typischen Merkmale auf. Wenn man aber versteht, worum es sich bei einem Ehrenmord handelt, ist es leichter, einen Ehrenmord auch als solchen zu erkennen.

IGFM: Wie kommt es, dass sich Männer zum Herrscher über Leben und Tod einer Frau aufschwingen?

Gülşen Çelebi: Ehrenmörder kommen aus sehr patriarchalischen Strukturen, in denen die Herrschaft des Mannes über die Frau nicht hinterfragt wird. Sobald eine Frau nach eigenen Vorstellungen lebt, werden ihre männlichen Verwandten und Angehörigen unter Druck gesetzt. Es wird getuschelt: „Der hat seine Frau nicht im Griff, der ist ja ein Weichling.“ Da würde man hierzulande vielleicht mit den Schultern zucken. In einer patriarchalischen Kultur aber kann sich daraus der Befehl des Clans entwickeln, die Frau mit allen Mitteln zum Gehorsam zu zwingen.

IGFM: Nun gibt es auch deutsche Männer, die mit einer Trennung nicht fertig werden und morden. Das nennt man dann Familientragödie oder Beziehungstat.

Gülşen Çelebi: Gewalt gegen Frauen ist kein Monopol der konservativen islamischen Gesellschaft. Dennoch gibt es einige wesentliche Unterschiede zwischen einer westlichen Beziehungstat und einem Ehrenmord. Zum Beispiel geschieht die Beziehungstat in der Regel im Affekt, der Ehrenmord dagegen geplant. Täter einer Beziehungstat sind Partner oder Expartner. Die Bedrohung geht also klar von einer Person aus. Im Namen der Ehre dagegen morden auch Brüder, Cousins, Väter und Onkel. Das bedeutet, dass die Gefährdungssituation für die Frauen eine ganz andere ist. Oft kennen sie niemanden außerhalb ihrer Familie. Sie sprechen vielleicht nicht einmal Deutsch und wissen nicht einmal, dass es Frauenhäuser gibt. Eine deutsche Frau dagegen kann viel leichter bei der Polizei oder beim Rechtsanwalt um Hilfe bitten.

IGFM: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Islam im Blick auf Ehrenmorde?

Gülşen Celebi: Wie man den Koran übersetzt und auslegt, überlasse ich Theologen. Im Alltag rechtfertigt und stärkt der Islam patriarchalische Strukturen. Das bedeutet: Auch in anderen Gesellschaften gibt es Gewalt gegen Frauen. Aber nirgendwo wird sie mitten in der Gesellschaft so akzeptiert wie in islamischen Communities.Ob das Auslegung oder Missbrauch des Islams ist, spielt für das Leid der Frau keine Rolle. Und für die moralische Beurteilung der Tat auch nicht.

IGFM: Das sehen manche anders. Das Strafrecht der Islamischen Republik Iran legt ausdrücklich fest, dass ein Mann, der seine Kinder tötet, von der „Vergeltung“, also der Todesstrafe, ausgenommen ist. Das klingt fast wie eine Einladung zum Ehrenmord. Wie sehen Sie die Rolle des Islams in dieser Hinsicht?

Gülşen Celebi: Machen wir uns klar, dass das das Gedankengut ist, mit dem manch ein Einwanderer nach Deutschland kommt. Denken wir darüber nach, was dann Sprüche wie „Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bedeuten: Kultur und Religion sollen beibehalten werden, auch wenn Sie gegen Menschenrechte verstoßen. Die Rolle des Islams dabei ist, dass er radikalen Muslimen ein Werkzeug an die Hand gibt, sich in unserer Gesellschaft durchzusetzen. Das ist meiner Meinung nach der eigentliche Missbrauch. Denn in Deutschland hat Religionsfreiheit einen hohen Stellenwert. Übrigens im Gegensatz zum Iran…

IGFM: Wie viele Ehrenmorde gibt es?

Gülşen Çelebi: Es gibt in Deutschland keine Statistik, die Ehrenmorde gesondert ausweist. Viele Ehrenmorde werden nicht einmal in der Presse als solche geführt. Zudem werden viele Ehrenmorde als Unfälle oder Selbstmorde getarnt. Manchmal werden die Mädchen oder Frauen vor der Tat ins Ausland geschafft. Man kann in Deutschland von mehreren Fällen jährlich ausgehen. Weltweit liegen die Schätzungen bei 5.000 bis 100.000 Fällen pro Jahr. Das Land mit den meisten Ehrenmorden dürfte Pakistan sein.

IGFM: Was können wir in Deutschland gegen Ehrenmorde tun?

Gülşen Çelebi: Zunächst müssen ausländische Frauen mehr über ihre Rechte erfahren. Die Integrationskurse sind eine gute Idee. Leider wird der Besuch viel zu wenig überwacht. Zu den ersten drei Terminen kommen die Importbräute mit ihren Ehemännern. Dann bleiben sie ganz weg. Wie sollen sie da etwas über ihre Rechte lernen? Dann brauchen wir eine Sensibilisierung der Leute, die beruflich mit Gewalt in Migrantenfamilien zu tun bekommen, also Polizei, Justiz, Sozialarbeiter, Jugendamt, Ärzte und Lehrer. Zusätzlich muss die gesamte Gesellschaft zeigen, dass sie Gewalt gegen Frauen und Verstöße gegen das Gesetz nicht toleriert. Jeder, der behauptet, häusliche Gewalt im Migrationsmilieu sei doch eine Ausnahme, die man nicht aufbauschen dürfe, macht sich mitschuldig an der Banalisierung des Leids.

IGFM: Was muss von Zuwanderern gefordert werden?

Gülşen Çelebi: Kenntnis der deutschen Sprache und Willen zur Integration in die deutsche Gesellschaft. Schulbildung, Bereitschaft zur Berufstätigkeit, Gesetzestreue. Wer deutlich nach außen demonstriert, dass er von der deutschen Gesellschaft nichts hält, sollte keinen deutschen Pass bekommen. Zeichen dafür können sein, dass ein Mann mehrere Ehefrauen hat oder dass die Frau eine Burka trägt.

IGFM: Manche Frauen tragen die Burka vielleicht freiwillig?

Gülşen Çelebi: In einer Gesellschaft, die keinen Begriff von Freiwilligkeit hat, und in der das Individuum nichts, die Familie aber alles zählt, kann von Freiwilligkeit doch keine Rede sein. So redet man nur, wenn man die Augen verschließen und das Unrecht nicht sehen will. Eine nicht unübliche Haltung von Politikern, die sich bei den islamischen Verbänden beliebt machen wollen.

IGFM: Was ist denn ihre Meinung zur Rolle der islamischen Verbände?

Gülşen Çelebi: Innenminister Schäuble hat im Rahmen der Islamkonferenz gesagt: „Wenn ich aber von vornherein jeden ausschließe, der nicht hundertprozentig auf dem Boden des Grundgesetzes steht, dann kann ich es gleich lassen.“ Das sagt eigentlich alles. Wie können Verbände, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, die deutschen Gesetze mitbestimmen wollen? Ein aktuelles Beispiel möchte ich ergänzen: An der Uni Münster sollen islamische Religionslehrer ausgebildet werden. Natürlich werden dort auch religionskritische Thesen diskutiert. Deswegen trat im September 2008 der Beirat, in dem die vier großen Verbände vertreten sind, geschlossen zurück. Dabei ist ja wohl unbestritten, dass an den Universitäten frei gedacht und diskutiert werden darf und muss. Wir leben in einer aufgeklärten Gesellschaft, und sollten uns nicht von mittelalterlichen, frauen- und demokratiefeindlichen Predigern auf der Nase herumtanzen lassen.

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