„Eine Diktatur gehört nicht zur EU“
Von Martin Lessenthin, Sprecher des IGFM-Vorstands.
In der heutigen Türkei Recep Tayyip Erdogans gibt es keine Rechtsstaatlichkeit, keine Meinungs- und Pressefreiheit mehr. Seit dem Sommer sind über 90 türkische Pressevertreter festgenommen worden, über 2.500 haben ihren Arbeitsplatz verloren. Präsident Erdogan herrscht allein über Medien, Legislative, Verwaltung, Justiz, Universitäten, Zivilgesellschaft. Einschüchterungen und ständige Angst bestimmen in der Türkei den Lebensalltag von Kritikern. Erdogan und die türkische Regierung nutzen den gescheiterten Staatsstreich, um die Meinungs- und Pressefreiheit zu verstümmeln und zu einer ausgeweideten Worthülse zu degradieren. Mit den europäischen Grundwerten und den Menschenrechten ist das unvereinbar.
Das Europäische Parlament hat daher am 27. Oktober in einer fraktionsübergreifenden Resolution mit überwältigender Mehrheit die willkürlichen Übergriffe der türkischen Regierung gegen Journalisten nach dem gescheiterten Putschversuch scharf kritisiert und die Freilassung aller Journalisten und Medienschaffenden gefordert.
Die EU-Parlamentarier appellieren in der Resolution an die Türkei, die inhaftierten Journalisten unverzüglich freizulassen und alle unbegründeten Anklagen fallen zu lassen. Außerdem verlangen sie, die türkischen Gesetze sowie die Landesverfassung, europäische und internationale Verpflichtungen zu respektieren. Der stellvertretende Parlamentspräsident Alexander Graf Lambsdorff hatte bereits im Vorfeld der Abstimmung gesagt. „Wir sagen der türkischen Regierung ganz klar: Lassen Sie die Journalisten gehen und lassen Sie sie ihre Arbeit machen“.
Wie zur Bestätigung der Kritik des Europäischen Parlaments wurden am Wochenende weitere 15 oppositionelle Medien in der Türkei geschlossen und Journalisten verhaftet. Die Zahl der verbotenen Medien stieg damit auf 160. Bereits vor dem gescheiterten Putschversuch, hatte Erdogan kritischen Journalismus und oppositionelle Meinungen rigide bekämpft und Medien – wie am 4. März 2016 die Zeitung „Zaman“ – gleichgeschaltet.
Todesstrafe und osmanische Kraftmeierei
Präsident Erdogan kündigte außerdem mit den Worten „Die Todesstrafe kommt mit Allahs Hilfe bald!“ eine Abstimmung im türkischen Parlament zur Wiedereinführung der Todesstrafe an und erhob territoriale Ansprüche auf Teile des Staatsgebietes von Griechenland, Syrien und des Irak.
Die staatlich gesteuerten Medien zeigen dazu passend osmanische Landkarten. Der 1923 geschlossene Vertrag von Lausanne, auf den die heutigen Grenzen der Türkei zurückgehen, wird von Erdogan nicht mehr akzeptiert. In seiner Brandrede meinte er: „Diese Inseln vor unserer Nase gehörten uns. Wir haben dort Werke, Moscheen und eine Geschichte!“ Gemeint sind mehrere griechische Inseln in der östlichen Ägäis.
Hexenjagd auf Andersdenkende
Seit dem gescheiterten Putschversuch gibt es eine regelrechte Hexenjagd auf Andersdenkende. Die betroffenen Journalisten, Staatsanwälte, Polizisten, Militärs, Anwälte, Professoren und Geschäftsleute haben keinen Zugang zu Anwälten oder zu rechtsstaatlichen Mitteln, und mehrfach wurden Familienmitglieder in Sippenhaft genommen. Sie haben keinerlei Einkünfte mehr, leben mit ihren Familien von der Substanz, dürfen aber auch nicht das Land verlassen. Opposition ist verboten, jegliche Kritik an Präsident Erdogan, seiner Familie, Regierung oder an staatlichen Institutionen wird hart verfolgt. Gleichzeitig nutzt Erdogan die Gelegenheit, um Medien der Minderheiten, nämlich der Kurden und Alewiten, auszuschalten.
De facto herrscht in der Türkei eine Präsidialdiktatur, die das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit außer Kraft gesetzt hat. Aber gerade eine freie und pluralistische Presse ist Kernelement jeder Demokratie, genauso wie ordentliche Gerichtsverfahren, die Unschuldsvermutung und eine unabhängige Justiz. Alles andere ist Diktatur, und eine Diktatur gehört nicht zur EU.
Der türkische Journalist Can Dündar, der im Sommer sein Heimatland verlassen musste und ein scharfer Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan ist, forderte die europäischen Regierungen dazu auf, kritischer mit der Türkei umzugehen. „Sie müssen damit aufhören, unterdrückende Politik zu unterstützen, nur um im Gegenzug die Tür für Flüchtlinge geschlossen zu bekommen“, sagte Dündar mit Bezug auf den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei.