Heirat im Islam

1. Die Praxis der Zwangsverheiratung – ist sie „definitiv unislamisch“?
1.1. Die Quellenlage
1.1.1. Der Koran
1.1.2. Überlieferung und Schariarecht
1.1.3. Die Rolle des Vormunds bei der Verheiratung der Frau
1.1.4. Darf die Frau ohne ihre Zustimmung verheiratet werden?
1.2. Kulturelle Aspekte: Hat die Braut die Möglichkeit zur Ablehnung der Eheschließung?
1.2.1. Der Einfluss der patriarachalischen Kultur auf die Eheschließung
1.2.2. Das Heiratsalter
1.2.3. Zusammenfassung: Hinderungsgründe für eine freie Eheschließung der Braut
2. Eheschließungen in islamisch geprägten Gesellschaften in der Geschichte – Schlaglichter
2.1. Eheschließungen im Osmanischen Reich im 18. und 19. Jahrhundert
3. Freiwillige Eheschließung oder Zwangsehe? Ein Blick auf die heutige Praxis
3.1. Feldstudien im Jemen zur Eheschließung
3.1.1. Drei Arten der Eheschließung im Jemen
3.2. Die Frage der Freiwilligkeit der Eheschließung in anderen Ländern
4. Das Menschenrecht auf eine freiwillige Eheschließung
4.1. Zwangsehen in der Migration
4.1.1. Zwangsehen als Menschenrechtsverletzung
4.1.2. Zwangsehen in islamisch geprägten Gesellschaften – Was müsste sich ändern?

1. Die Praxis der Zwangsverheiratung – ist sie „definitiv unislamisch“? [1]

Können muslimische Ehepartner aus freien Stücken heiraten? Dürfen besonders Frauen aus dem islamischen Kulturkreis eigenständig entscheiden, ob und mit wem sie die Ehe eingehen wollen? Werden Zwangsheiraten durch die Quellen des Islam – Koran, Überlieferung, Schariarecht – legitimiert oder sind sie eine Form der Geiselnahme des Islam für eine kulturelle Praxis, die ihre Wurzeln in nicht-islamischen Traditionen hat? Und nicht zuletzt: Wie ist es mit der Problematik der Zwangsehen in Deutschland bestellt? [2]

Besucht man einschlägige deutsche Webseiten islamischer Anbieter, finden sich zahlreiche ablehnende Äußerungen zur Zwangsehe: [Der] „Islam begreift Zwangsverheiratung als schwere Form der Menschenrechtsverletzung“, [3] oder: „Die Praxis der Zwangsverheiratung [ist] definitiv unislamisch“ [4].

Wenn das jedoch der Fall ist, warum beschäftigte sich dann die „Deutsche Islamkonferenz“ mit dieser Thematik und verabschiedete im April 2012 eine „Erklärung gegen häusliche Gewalt und Zwangsheirat“? [5] Warum nehmen Frauenrechtlerinnen wie Serap Çileli, Necla Kelek oder Seyran Atesch [6] so engagiert Stellung gegen das Phänomen Zwangsheirat im islamischen Kulturkreis? Liegt die Problematik vor allem in Traditionen, unzureichender Bildung, mangelnden materiellen Resourcen, in Machtmissbrauch oder doch in der Religion begründet?

Die Frage der Freiwilligkeit der islamischen Eheschließung soll im Folgenden unter theologischen, schariarechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten betrachtet werden.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage nach den schariarechtlichen Regelungen zu dieser Thematik. Da die gesellschaftlich einflussreiche, traditionell ausgebildete islamische Gelehrtenwelt, die an Moscheen und Universitäten lehrt, bis heute bei aller Auslegungsvarianz an der generellen Gültigkeit des Schariarechts festhält, spielen diese Regelungen über Moscheepredigen, Buch-und Internetveröffentlichungen sowie Rechtsgutachten (arab. fatawa) [Anmerkung der IGFM: Aus technischen Gründen wird im Text für arabische Begriffe die vereinfachte Schreibweise verwendet] für die gesellschaftliche Wirklichkeit bis heute eine wichtige Rolle. Daher sind die Quellen des Schariarechts von großer Bedeutung: der Korantext aus der Zeit des 7. Jahrhunderts sowie die Überlieferungstexte, die bis zum 9., maximal 10. Jahrhundert gesammelt, gesichtet und kompiliert wurden und Muhammads Verhalten und das der Prophetengefährten, der sahaba, als Vorbilder der islamischen Gemeinschaft erläutern. Darüberhinaus ist zu fragen, wie einflussreiche Rechtsgelehrte bis zum 10. Jahrhundert diese Texte interpretierten, deren Auffassungen für das Schariarecht normativ wurden: Welche Praxis in Eheschließungsfragen haben die vier sunnitischen Rechtsschulen der Hanafiten, Hanbaliten, Malikiten und Schafiiten in ihren Rechtskompendien empfohlen? Was sagt die wichtigste schiitische Rechtsschule der Jafariten?

Über die rechtstheoretische Seite hinaus ist auch die Frage der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Vergangenheit und Gegenwart interessant: Wie wurde und wird die Freiwilligkeit der Eheschließung in islamischen Gesellschaften in der Vergangenheit gehandhabt – was wissen wir überhaupt darüber? Und nicht zuletzt hat diese Thematik auch für Deutschland sowie generell die westlichen Gesellschaften durch die Migration Relevanz erhalten. Diese Relevanz schlägt sich nicht nur in öffentlich geführten medialen Diskussionen über die Thematik der Ehrenmorde oder die Berichte von Zufluchtsstätten wie Schutz-und Frauenhäuser nieder, sondern auch in gesetzlichen Regelungen zum Thema Zwangsehe sowie in politischen Debatten, etwa über die Gewährung des Aufenthaltsrechts für trennungswillige zwangsverheiratete Frauen ohne eigenen Aufenthaltstitel.

1.1. Die Quellenlage

1.1.1. Der Koran

Der Koran sagt denkbar wenig zur Frage der Freiwilligkeit der Eheschließung; nirgends geht er explizit auf diese Thematik ein. Herangezogen werden können allenfalls einige wenige Verse, die sich in allgemeiner Weise zur Eheschließung äußern; die Schlussfolgerung, der Koran befürworte das Recht männlicher Familienmitglieder zur Verheiratung von Töchtern und Schwestern ohne deren Mitspracherecht, findet jedenfalls im Text selbst keinerlei Grundlage.

Zu den indirekten Äußerungen des Korans zur Eheschließung gehört etwa Sure 57,27; ein Vers, der die Ehelosigkeit des christlichen Mönchtums kritisch behandelt. Sure 24,32 mahnt die Eheschließung der noch Ledigen an: „Und verheiratet diejenigen unter euch, die (noch) ledig sind.“ [7] Schariarechtlich wird in späteren Jahrhunderten von den Gelehrten die dauerhafte Ehelosigkeit als Versuchung und damit als Gefahr für die Stabilität der Gemeinschaft missbilligt. So betrachten alle Rechtsschulen außer der schafiitischen die Heirat für den Mann als verpflichtend, sofern er finanziell dazu in der Lage ist und befürchtet, andernfalls Unzucht (arab. zina´) zu begehen. Auch für die Frau ensteht aus Sicht einflussreicher Schariagelehrter die Pflicht zur Eheschließung, wenn sie über keinen anderweitigen Unterhalt verfügt und ihrerseits befürchtet, Unzucht zu begehen. [8]

Indirekte Schlüsse über die Frage der Freiwilligkeit der Heirat könnten allenfalls aus Versen wie Sure 4,21 abgeleitet werden, die von einem „Bund“ oder der „festen Verpflichtung“ (arab. mithaq) sprechen, die Mann und Frau mit der Ehe eingehen, woraus man indirekt schlussfolgern könnte, dass beide Partner einer Heirat zustimmen müssen. In Sure 2,240 spricht der Koran von den Witwen, die sich erneut verheiraten möchten, woraus eine gewisse Initiativmöglichkeit von Seiten der Frauen angenommen werden könnte. Ganz ähnlich weist Sure 2,232 die Gläubigen an, diejenigen Frauen, die sich nach ihrer Scheidung erneut mit ihren früheren Ehemännern verheiraten möchten, nicht daran zu hindern – auch daraus könnte eine gewisse Entscheidungsgewalt zumindest der Geschiedenen ablesbar sein.

1.1.2. Überlieferung und Schariarecht

Eine Eheschließung wird in frühislamischer Zeit vor allem durch einen Vertrag zwischen zwei Familien besiegelt. Der Vertrag – und damit die Ehe – kommen zustande durch das „Angebot“ (arab. i´dschab) der Familie des Bräutigams hinsichtlich der Brautgabe und deren vor zwei Zeugen besiegelten „Annahme“ (arab. qabul) durch die Familie der Braut. Mit deren mündlicher Zustimmung zu den Vertragsbedingungen gilt die Ehe als konstituiert. Sie ist nach herkömmlichem Verständnis weniger eine individuelle, als vielmehr eine Angelegenheit der Familie und Gesellschaft: Die Quellen fordern keine staatliche oder religiöse Registrierung der Ehe, was auch aufgrund der Tatsache, dass zur Frühzeit des Islam weder ein religiöser noch staatlicher Verwaltungsapparat existierte, wenig verwunderlich ist. [9]

Die Überlieferung aus der Zeit bis zum 9./10. Jahrhundert, ein Spiegel der frühislamischen Rechtsentwicklung, äußert sich, wie in vielen anderen Rechtsfragen, auch zum Thema der Freiwilligkeit der Eheschließung ausführlicher als der Koran. Vorausgeschickt werden müssen hierfür einige Anmerkungen zur Rolle des Vormunds (arab. wali), der in den Überlieferungstexten häufig erwähnt wird.

1.1.3. Die Rolle des Vormunds bei der Verheiratung der Frau

Ein Vormund nimmt generell Rechtsgeschäfte für diejenigen wahr, die nach Schariarecht als nicht voll rechtsfähig gelten, vor allem für Behinderte oder Minderjährige. Auch die Frau bzw. junge Frau gilt im klassischen Schariarecht nur als teil-geschäftsfähig. D.h., sie kann zwar ein Erbe antreten und eigenes Geld und Gut, wie etwa ihre Brautgabe, verwalten oder auch mit diesem Besitz Handel treiben. Auf anderen Gebieten erlangt sie jedoch lebenslang keine volle Geschäftsfähigkeit und ist auf das stellvertretende Handeln einer voll rechtsfähigen Person angewiesen. Der junge Mann wird also mit Eintritt der Pubertät in vollem Umfang geschäftsfähig, die Frau jedoch niemals. Die Vollmacht über die Frau geht, wie Mounira M. Charrad bemerkt, bei ihrer Eheschließung von ihrem Vater auf ihren Ehemann über, ihre eigene rechtlich begrenzte Handlungsfähigkeit bleibt jedoch auch nach ihrer Eheschließung bestehen. [10]

Zu diesen Fällen, in denen nur ein männlicher Rechtsvertreter die Rechte der Frau wahrnehmen kann, gehört nach Auffassung der meisten Juristen der formativen Rechtsperiode bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. auch der Abschluss eines Ehevertrags: Es besteht weitgehender Konsens, dass eine Frau ihren eigenen Ehevertrag nicht abschließen kann, [11] sondern ihr Vormund (arab. wali) ihn rechtsgültig vereinbaren muss. Bekannte Überlieferungen dazu lauten:

„A´isha said: ´The Prophet said: There can be no mariage without a wali, and the sultan is the wali who has no other´“, [12] oder

„A´isha said: ´The Prophet said: If a woman has not been given in marriage by one of her walis, her marriage is void.´“ [13]

So ist es nach diesem auf Muhammad zurückgeführten hadith nicht möglich, dass eine Frau sich selbst oder eine andere Frau in die Ehe gibt, denn die Worte einer Frau, so betonen vor allem die Malikiten und Schafiiten, können keinen Vertrag begründen. [14] Damit ist es nicht zulässig, dass eine Mutter für ihre Tochter deren Ehevertrag abschließt: [15]

„The Prophet said: ´No woman can give another in marriage. Nor can she give herself in marriage. Only an adulteress gives herself in marriage.´“ [16]

Vormund der Frau ist nach sunnitischer Auffassung nicht zuerst ihr Vater, sondern an erster Stelle ihr Sohn und ihr Enkel, denn der Sohn hat, wie malikitische Quellen betonen, mehr Rechte über die Mutter, da es der Sohn ist, der an ihrem Grab das Gebet sprechen wird. [17] Weitere Vormünder der Frau sind Vater und Großvater, ihre Brüder und die Brüder ihrer direkten männlichen Verwandten, deren Nachkommen sowie ihre direkten männlichen Onkel und deren Nachkommen. [18]

Sollten die genannten Verwandten nicht existieren, übernimmt der Repräsentant der öffentlichen Ordnung, der hakim, die Rolle des Vormunds. Dies ist in der Regel der Richter, der qadi, der eine Frau auch dann verheiraten kann, wenn sich ihr Vormund diesem Ansinnen verweigern sollte. [19]

Mit der Vorschaltung des Vormunds vor die Entscheidung der Frau ist im klassisch-islamischen Recht eine gewisse Geringschätzung der Rechts-und Beurteilungsfähigkeit der Frau verbunden, [20] wie Syeed Ameer Ali bemerkt, denn die Schafiiten nehmen ebenso wie die Malikiten an:

„The wali´s intervention is required … to supplement the presumed incapacity of the woman to understand the nature of the contract.“ [21]

Begründen die Überlieferungen also durch die Schlüsselrolle, die sie dem Vormund einräumen, das eindeutige Recht auf eine zwangsweise Verheiratung der Braut? Nicht unbedingt:

1.1.4. Darf die Frau ohne ihre Zustimmung verheiratet werden?

Einige Überlieferungen betonen, dass der Vater bzw. der Vormund der Braut sein Mündel nicht ohne dessen „Zustimmung“ (arab. ridan) verheiraten dürfe. So wird auf Abu Huraira ein Überlieferungstext zurückgeführt, der besonders hervorhebt, dass dies für die Jungfrau (arab. al-bikr) gelte, [22] während von Ibn ´Abbas ein Text zitiert wird, der betont, dass eine Frau in einer Ehe, die nicht ihre erste Ehe ist, erweiterte Mitspracherechte genießt. [23] Andere Überlieferungen billigen dieses Mitspracherecht sowohl der Jungfrau als auch der Witwe und der Geschiedenen zu. [24]

Sehr prominent wird in diesem Zusammenhang die Überlieferung zur Eheauflösung von Chansa´ bint Chidam al-Ansariya zitiert, die von ihrem Vater in eine Ehe gegeben worden war, die nicht ihre erste Ehe war. Als sie sich aus dieser Ehe befreien wollte, legte ihr Vater diese Angelegenheit Muhammad vor, der die Ehe kurzerhand auflöste, [25] also ihren Wunsch als Handlungsanweisung auffasste – woraus allerdings auch deutlich wird, dass Chansa´ bint Chidam al-Ansariya ihre Ehe offensichtlich nicht selbst auflösen konnte. Und nicht zuletzt soll auch Muhammad selbst seine Tochter Fatima um ihr Einverständnis gebeten haben, bevor er sie mit dem späteren vierten Kalifen ´Ali verheiratete.

Gleichzeitig existieren jedoch auch Überlieferungen, die den möglichen Einwänden einer Braut keinen Raum einzuräumen scheinen, wenn es etwa heisst:

„Drei Dinge sollen nicht aufgeschoben werden: Das Gebet, wenn die Zeit dafür gekommen ist, die Beerdigung, wenn der Leichnam gekommen ist, und die Heirat einer Frau, wenn ein gleichgestellter Mann den Antrag machte.“ [26]

Offensichtlich scheint von Seiten der Rechtsgelehrten denjenigen Überlieferungen größeres Gewicht zugebilligt worden zu sein, die die Verheiratung der Braut durch ihren männlichen Vormund befürworten und deren eigene Zustimmung nicht als notwendige Voraussetzung für die Eheschließung betrachten. So haben die vier sunnitischen und die wichtigste schiitische Rechtsschule der Zwölferschiiten hinsichtlich des Mitspracherechts der Frau bei ihrer Eheschließung im Kern nur wenig unterschiedliche Regelungen getroffen und deren rechtlich-konstitutive Komponente grundsätzlich in die Hände des Vormunds gelegt. Zwar beziehen alle Rechtsschulen die Zustimmung der Braut in ihre Überlegungen mit ein, ja halten diese Zustimmung sogar für wünschenswert. Allerdings betrachten sie die Verheiratung der Braut in den meisten Fällen auch ohne deren Zustimmung für rechtens. Die Regelungen im Einzelnen:

So erlaubt die malikitische Rechtsschule zwar der Braut eine Willensäußerung, empfiehlt jedoch, die Wahl des Bräutigams dem Vormund zu überlassen. [27] Im Konfliktfall zwischen Braut und Vormund räumen die Malikiten dem Beschluss des Vormunds Vorrang vor der Zustimmung der Braut ein. D.h., die Zustimmung der Braut ist nach malikitischer Auffassung für die Rechtsgültigkeit des Ehevertrags nicht notwendig, noch ist es erforderlich, dass die Frau bei der Eheschließungszeremonie anwesend ist. [28] Die Malikiten erlauben also die „Handschuhehe“ und prinzipiell eine Eheschließung auf Grundlage der Entscheidung des Rechtsvertreters der Frau.

Ähnliches gilt für die schafiitische Rechtsschule: Für das Zustandekommen eines rechtlich gültigen Eheschlusses gelten als unverzichtbar: Der Abschluss des Ehevertrages zwischen dem Bräutigam und dem Vormund der Frau, der ein freier, volljähriger Muslim von gutem Charakter sein und vor allem für den Unterhalt der Braut (arab. nafaqa) sorgen können soll. [29] Auch für die Schafiiten gilt die Zustimmung der Braut als wünschenswert, jedoch nicht als konstitutiv, d.h., auch die Schafiiten erlauben die Ehe auf Grundlage des Beschlusses des Vormunds.

Nach schafiitischem Recht haben Vater und Großvater der Braut (aber ausschließlich diese beiden) die „Zwangsgewalt“ (arab. wilayat al-idschbar) über die jungfräuliche Braut. Vater und Großvater werden daher im schafiitischen Recht als wali mudschbir bezeichnet, was man etwa übersetzen könnte mit „Vormund mit Verfügungsgewalt.“ [30]

Die strenge hanbalitische Rechtsschule räumt dem Vormund besonders umfangreiche Rechte ein. Er ist ihrer Auffassung nach berechtigt, allein über die Eheschließung seines Mündels zu entscheiden und dies auch ohne seine Zustimmung, die aber prinzipiell weiter als wünschenswert betrachtet wird, d.h., die Erwartung richtet sich vor allem an die Braut, der Wahl des Vormundes zuzustimmen. Der Vormund ist zwar angehalten, sicherzustellen, dass der zukünftige Ehemann der Braut vom sozio-ökonomischen Status ebenbürtig ist (arab. kuf´) und so die Brautgabe (arab. mahr) und der Unterhalt (arab. nafaqa) gesichert sind; die Entscheidung über die Eheschließung kann er jedoch, rein rechtlich betrachtet, unabhängig von den Wünschen der Braut fällen. Einer Geschiedenen oder Witwe muss der Vormund jedoch zumindest Mitbestimmungsrecht einräumen.

Nur die hanafitische Rechtsschule erlaubt der freien, volljährigen Frau, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte ist, über ihre Eheschließung auch ohne männlichen Vormund zu entscheiden, unabhängig davon, ob sie ihre erste oder eine Folgeehe schließt. Bei den Hanafiten ist der Vormund in die Eheschließung zwar involviert, aber vor allem aus Gründen der Tradition, nicht aus Gründen der Legalisierung des Eheschlusses. [31] Die hanafitische Rechtsschule begründet diese Position damit, dass die Frau auch in anderen Rechtsbereichen, wie etwa bei der Inanspruchnahme ihres Erbes, selbst rechtsfähig sei. Dieser Sicht der hanafitischen Rechtsschule schloss sich sonst nur noch der größte Teil der Zwölferschiiten an: [32] So urteilt etwa Mawlana Ashra Ali Thanawi mit Bezug auf schiitische Überlieferungen zur Freiwilligkeit der Eheschließung:

„An adult woman is independent. She may or may not marry and she may marry the man of her choice. No one can compel her and she may, or may not, inform her guardian before marrying anyone.“ [33]

Allerdings ist zu beobachten, dass diese Freiheit der Braut zur eigenständigen Entscheidung in Sachen Eheschließung mit der Zeit im hanafitischen Recht immer mehr eingeschränkt wird, so dass im Laufe der Jahrhunderte eine selbständige Eheschließung der Braut immer unwahrscheinlicher [34] und der Abschluss eines eigenen Ehevertrags immer mehr als schändliches Handeln verurteilt wird. [35] Zudem wird auch bei den Hanafiten dem Vormund das Recht eingeräumt, gegen eine von der Braut beabsichtigte Eheschließung Einspruch zu erheben[36] bzw. eine bereits geschlossene Ehe gerichtlich auflösen zu lassen, wenn er der Auffassung ist, dass die Ehe nicht mit einem angemessenen Brautgeld vereinbart wurde. So räumen letztlich auch die Hanafiten dem Vormund ein wirksames Mittel zur Durchsetzung seiner Interessen und zum Übergehen der Wünsche der Braut ein.

Bei den Malikiten, Schafiiten und Hanbaliten gilt also die Vormundschaft des nächsten männlichen Verwandten und sein Wille und Handeln als unabdingbar für das Zustandekommen eines Ehevertrags, und zwar auch für die freie, volljährige Frau, die sich im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befindet und in anderen Bereichen selbst Rechtsgeschäfte abschließen kann. Gleichzeitig wird die Zustimmung der Braut zur Eheschließung empfohlen, ja angemahnt; in einigen Texten wird sogar verlangt, dass der Vormund nicht gegen ihre ausdrückliche Willenserklärung ihre Eheschließung vertraglich vereinbaren soll. Dies ist aber lediglich eine Empfehlung und keine rechtlich verbindliche Notwendigkeit.

Etwas mehr Rechte als die Jungfrau haben die Witwe und die Geschiedene in einer Folgeehe. Für den Abschluss einer zweiten Ehe gilt den Juristen der islamischen Frühzeit als grundsätzliche Regel, dass die Frau bei diesem Eheschluss größere Mitspracherechte hat; allerdings muss der Ehevertrag weiterhin von ihrem Vormund abgeschlossen werden. Der Vormund muss jedoch ihre verbale Zustimmung erhalten, hier reicht Passivität, also Schweigen oder Weinen, nicht aus. [37]

1.2. Kulturelle Aspekte: Hat die Braut die Möglichkeit zur Ablehnung der Eheschließung?

Ungeachtet der Empfehlungen zahlreicher Überlieferungstexte, die Zustimmung der Braut zu ihrer Eheschließung einzuholen, ist rein rechtlich betrachtet, für die frühislamischen Rechtsgelehrten der Konsens der Braut keine konstitutive Voraussetzung für den Vertragsabschluss; selbst die Hanafiten räumen dem Vormund die Möglichkeit ein, eine gegen seinen Willen vereinbarte Ehe aufzulösen: So besitzt der Vormund in allen vier sunnitischen sowie der schiitischen Rechtsschule weitgehende Handlungsfreiheit, inklusive der Freiheit, die Reaktion der Frau auf seinen Entschluss ihrer Verheiratung als Zustimmung auszulegen oder sogar ihre Zustimmung erst herbeizuführen, denn auch eine erzwungene „Einverständniserklärung“ einer volljährigen Braut gilt, wie Mathias Rohe erläutert, rechtlich als Zustimmung. [38]

Bei der Jungfrau, von deren „Schüchternheit“ islamische Gelehrte der Frühzeit häufig ausgehen, gilt nach klassischer Gelehrtenmeinung auch deren Schweigen, Lachen oder Weinen als Zustimmung zur Eheschließung, [39] mit anderen Worten: Nur ein sehr entschieden vorgetragener und vermutlich frühzeitig und lautstark geäußerter Protest wird überhaupt als solcher aufgefasst worden sein. Wird dieser Protest den Vormund, der eine ganz bestimmte Eheschließung seines Mündels durchsetzen möchte, jedoch vom anvisierten Vertragsschluss abhalten, den angesichts seines Entscheids rechtlich niemand anfechten kann? Wohl nur dann, wenn er aus persönlichen Gründen einlenkt. Das Schariarecht verpflichtet ihn nicht dazu, selbst wenn eine Eheschließung gegen den Willen der Braut nicht als ideal oder sogar als missbilligt betrachtet wird.

1.2.1. Der Einfluss der partriarachalischen Kultur auf die Eheschließung

Kann in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft eine junge, in manchen Fällen noch minderjährige Braut jedoch solch entschiedene Gegenwehr äußern, zumal, wie Wael B. Hallaq betont, [40] der Vormund häufig gleichzeitig das Familienoberhaupt ist und vor allem im Hinblick auf das Interesse der gesamten Familie und deren Erhalt des Sozialstatus und der Ehre handelt? [41] Bei offener Rebellion der Tochter geriete nach traditioneller Auffassung die Familienehre in Gefahr bzw. nähme sichtbaren Schaden. Zudem sollte „man … auch nicht vergessen, dass das Ideal in der muslimischen Gesellschaft die verheiratete Frau und, noch mehr, die Mutter war,“ [42] dauerhafte Ehelosigkeit also nicht vorgesehen war. Kann die Tochter vielleicht auch den ersten, an die Familie gestellten Heiratsantrag ablehnen, gibt es bis heute – mit Ausnahme einer kleinen, städtisch gebildeten Oberschicht – kulturell kaum die Möglichkeit der mehrfachen Ablehnung von Heiratsanträgen ohne „triftigen“ Grund familiärer Inkompatibilität.

Nicht außer Acht gelassen werden sollte die Tatsache, dass die Texte aus Koran und Überlieferung sowie die Verlautbarungen frühislamischer Juristen auch ein Spiegel der arabischen, patriarchalisch geprägten Kultur bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. sind. Durch die islamischen ehe- und familienrechtlichen Regelungen war die Stellung der Frau in Arabien zwar durchaus verbessert worden: Frauen konnten jetzt erben, die Polygamie war begrenzt worden und Frauen erhielten nun bei ihrer Eheschließung ein Mitsprachrecht. So nimmt Joseph Schacht etwa an, dass in vorislamischer Zeit die Eheschließung allein zwischen dem Vormund und dem Brautwerber vereinbart wurde und die Zustimmung der Braut dabei in keiner Weise eine Rolle spielte. [43]

Diese islamrechtlichen Verbesserungen bedeuten jedoch andererseits nicht, dass die arabische Halbinsel des 7. Jahrhunderts ein Hort der Gleichberechtigung geworden wäre, und auch das Schariarecht stellt diese Gleichberechtigung der Frau grundsätzlich nicht her. [44]

1.2.2. Das Heiratsalter

Eine kulturelle Komponente ist sicher auch bei der Frage des Heiratsalters miteinzubeziehen. Heiratsverträge konnten in jedem Alter, also auch für Kinder, von den Vormündern abgeschlossen werden. Grundsätzlich nennen die Quellen kein Mindestalter für die Eheschließung, erlauben aber grundsätzlich, „Minderjährige“ [45] zu verheiraten. Allerdings blieben die rechtlich bereits verheirateten Minderjährigen im Haus ihrer Eltern bis zum Einsetzen der Pubertät, die in aller Regel als Zeitpunkt für den Beginn der eigentlichen Ehe betrachtet wurde. Wurden Minderjährige verheiratet, war es ihnen – so zumindest das Schariarecht – mit dem Erreichen der Pubertät möglich, ihre Ehe bei Gericht annullieren zu lassen.

Eine Ausnahme machen hier die Malikiten [46] und Hanafiten, [47] die den Widerruf der Ehe nach Eintritt der Pubertät nicht erlauben, wenn die Ehe durch den Vater oder Großvater des Mädchens geschlossen wurde, da sie argumentieren, dass ein Vater oder Großvater ausschließlich im Interesse ihres Mündels handeln würden. Wurde die Ehe von einem anderen Vormund als dem Vater oder Großvater arrangiert, darf die erwachsen gewordene Ehefrau nach hanafitischer Auffassung vom Richter (arab. qadi) die Auflösung der Ehe fordern; gleiches gilt für den minderjährig verheirateten Bräutigam. [48] Soziologisch kann die Verheiratung Minderjähriger sicher als Methode der Wahrung wirtschaftlicher und machtpolitischer Familieninteressen interpretiert werden, eherechtlich entfällt damit die Verpflichtung der Zustimmung der Ehekandidaten.

Generell wird deutlich, dass die Eheschließung weniger als individuelles Handeln als vor allem als Familienangelegenheit betrachtet wurde, die Möglichkeiten zur Beibehaltung oder Erlangung eines besseren gesellschaftlichen Status bot sowie zur Bereicherung der eigenen Familie durch Verheiratung der Tochter mit einem wohlhabenden oder angesehenen Schwiegersohn, [49] auch wenn der Richter bei offensichtlichem Missbrauch der vormundschaftlichen Gewalt des Vaters die rechtliche Möglichkeit besaß, eine Tochter vor einer erkennbar unvorteilhaften Ehe durch Einschreiten zu bewahren. [50] Die Hierarchie der Macht innerhalb der Familie blieb dennoch prinzipiell zuungunsten der Braut bestehen. [51] So urteilen Peter Heine und Adel Theodor Khoury hinsichtlich der Überlegung, ob sich eine Braut gegen eine vom Vormund beschlossene Ehe wehren kann, selbst für heutige Verhältnisse:

„In der gesellschaftlichen Praxis würde ein derartiges Verhalten der jungen Frau natürlich einen Skandal darstellen, der ihre Chancen auf eine Heirat mit einem anderen Mann erheblich verringert. Zugleich würde sie dem Ruf ihrer Familie schweren Schaden zufügen.“ [52]

1.2.3. Zusammenfassung: Hinderungsgründe für eine freie Eheschließung der Braut

Alles in allem wird die schariarechtlich angemahnte Notwendigkeit der Zustimmung der Braut zu ihrer Verheiratung durch folgende rechtliche und gesellschaftliche Faktoren in ihrer Wirksamkeit stark eingeschränkt, selbst wenn die begrenzte Rechtsfähigkeit von Frauen in Fragen der Eheschließung unter zeitgenössischen Rechtsgelehrten nicht unwidersprochen geblieben [53] und gleichzeitig zu fragen ist, ob in einer nicht individualisierten, patriarchalisch geprägten Gesellschaft das Arrangieren einer Ehe in der Vergangenheit in jedem Fall als „Zwang“ betrachtet wurde:

     Die generell begrenzte Rechtsfähigkeit der Frau

     Die Notwendigkeit des Abschlusses des Ehevertrags durch den Vormund der Frau

     Die Interpretation ihres Schweigens oder Weinens als Zustimmung

     Die Tatsache, dass eine ausdrückliche verbale Zustimmung der Braut zur Ehenicht erforderlich war

     Die übliche Eheanbahnung auf Initiative der Familie des Bräutigams hin

     Die Möglichkeit der „Handschuhehe“ (der Eheschließung ohne Anwesenheit der Frau)

     Die schariarechtlich definierte Gehorsamspflicht der Frau gegenüber Vater und Ehemann

     Die Möglichkeit der Verheiratung im Kindesalter durch die Familienoberhäupter

     Die wenig individualisierten nahöstlichen Gesellschaften

     Die Pflicht zur Wahrung der Familienehre, die durch offene Rebelliongefährdet wird

     Der gesellschaftliche Aufstieg durch arrangierte Einheirat in einflussreiche Familien

     Der familiäre materielle Zugewinn durch eine hohe Brautgabe wohlhabender Familien

Kommt es zu einem Konflikt zwischen den Wünschen der Braut und denen ihres Vormunds, ist davon auszugehen, dass dessen rechtliche Handlungsmöglichkeiten und seine für den Vertragsschluss unabdingbare Befürwortung der Ehe kulturell größeres Gewicht hatten als die in den einschlägigen Rechtstexten angemahnte Zustimmung der Braut.

2. Eheschließungen in islamisch geprägten Gesellschaften in der Geschichte – Schlaglichter

Eine lückenlose und umfassende Darstellung der Frage, ob und in welchem Maße Frauen in der Geschichte über ihre eigene Eheschließung entscheiden konnten, ist derzeit aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit der Quellen nicht möglich. Es existieren bisher vor allem Momentaufnahmen, beschränkt auf bestimmte Regionen mit vorteilhafter Quellenlage wie z. B. für Teile des Osmanischen Reiches. Zudem greifen viele Regionalstudien zur Lage der Frau die Frage der Freiwilligkeit der Eheschließung leider nur am Rand auf. [54] 2.1. Eheschließungen im Osmanischen Reich im 18. und 19. Jahrhundert 

Als eine der Wenigen hat sich Judith E. Tucker mit der Rolle der Frauen der Oberschicht und der ländlichen Unterschicht im Ägypten und Palästina im 18. und 19. Jahrhundert beschäftigt [55] und in diesem Zusammenhang auch mit der Frage der Freiwilligkeit der Eheschließung. Sie hält für diesen Zeitraum und diese Region fest, dass für Frauen der Oberschicht eine Eheschließung mit beiderseitiger Zustimmung eher die Ausnahme als die Regel war:

Gerade in der Oberschicht Ägyptens und Palästinas im 18. und 19. Jahrhundert wurden Ehen mit Bedacht arrangiert, um politische und wirtschaftliche Interessen der Familien verfolgen zu können. Das wird besonders deutlich aus dem Heiratsalter: Von den 107 erhaltenen Eheverträgen, die aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert beim Nabluser Gericht registriert wurden, waren 20% mit minderjährigen Bräuten vor der Pubertät (also im Kindesalter) geschlossen worden.

Ein Grund für die Häufigkeit der arrangierten Ehen war laut Judith E. Tucker die weitgehende Seklusion der Frauen der Oberschicht, die dafür verantwortlich war, dass Frauen so gut wie keinen Kontakt zu Männern außerhalb der engsten Familie hatten. Die unbedingte Wahrung der Ehre durch den absoluten Ausschluss der Möglichkeit einer außerehelichen Beziehung der Frau besaß offensichtlich einen extrem hohen Stellenwert. Zwar führten, wie belegt ist, Frauen aus dem Innersten des Hauses heraus, mit Hilfe eigener Finanzmittel ihre eigenen Geschäfte und investierten etwa im Sklaven-und Gewürzhandel, waren also per se nicht unselbständig. Dennoch konnten sie, wie die Quellen verdeutlichen, einer familiär beschlossenen Heirat wenig Wirksames entgegensetzen, ja sogar einer Zweit- oder Mehrehe ihres Mannes. So wirft auch die Tatsache der nachweislich praktizierten Polygamie in der Nabluser Oberschicht ein Licht auf die soziale Stellung der Frau bzw. die ihr fehlenden rechtlichen und sozialen Möglichkeiten, eine Mehrehe wirksam verhindern zu können.

Abgesehen von der Seklusion erkennt Judith E. Tucker einen weiteren Grund für die eher seltene Durchsetzung eigener Präferenzen bei der Eheschließung darin, dass besonders in der Nabluser Oberschicht die Heirat zwischen Cousin und Cousine – besonders den Kindern zweier Brüder – hoch angesehen und eine häufige Verbindung war. Von einer regelmäßigen Zustimmung der Frau zu dieser Eheform kann wohl kaum ausgegangen werden.

Für die Unterschicht kann jedoch im Gegensatz dazu durchaus angenommen werden, dass die Zahl der Verbindungen ohne Mitspracherecht der Braut im Ägypten und Palästina des 18. und 19. Jahrhunderts geringer war: Das wird deutlich aus der kleineren Zahl an Kinderheiraten, der im Vergleich zur Oberschicht höheren Zahl an Scheidungen und Nachfolgeehen (bei denen die Frau schariarechtlich mehr Mitspracherecht besaß) und einem geringeren Maß an Familienkontrolle und Seklusion durch die öknomische Notwendigkeit des Broterwerbs durch die Frau, die z. B. als Händlerin, Geburtshelferin oder Bademeisterin im Hammam tätig sein konnte.

Zudem scheinen die Nabluser Familien der Unterschicht weniger Heiraten unter Cousin und Cousine praktiziert zu haben, zumal der Machterhalt für die eigene Familie hier nicht dieselbe Bedeutung besaß wie für die Familien der Oberschicht. Und nicht zuletzt werden die vermehrten Handlungsoptionen für Frauen der unteren Schichten auch daraus ersichtlich, dass Frauen ihr Recht auf ein eigenes Erbteil häufiger vor Gericht erstritten, offensichtlich, um durch die Verteidigung ihres Besitzes ihre begrenzten Handlungsoptionen erhalten zu können. Der – sicher auch in diesem Bereich gesellschaftlich prinzipiell als bedeutsam betrachtete – Erhalt der Familienehre führte also vermutlich aufgrund der ökonomischen Notwendigkeiten hier nicht dazu, dass Frauen das Haus nicht verlassen durften und damit vollständig auf die Partnerwahl durch andere angewiesen waren.

Und schließlich hatten sich die Frauen dieser Gesellschaftsschicht, wie aus den Dokumenten ersichtlich wird, auch weitaus weniger häufig mit einer Zweitfrau zu arrangieren, da allein die wirtschaftliche Situation solche möglichen Ansinnen ihrer Ehemänner stark eingegrenzt haben muss. So besaßen Frauen der Unterschicht alles in allem in Bezug auf Eheschließungsfragen eher mehr Bewegungsspielraum als Frauen der Oberschicht. Auch wenn das nicht heißen muss, dass sie sich in jedem Fall für einen selbst gewählten Ehekandidaten entscheiden konnten, wird diese Möglichkeit doch eher in ihrer Reichweite gelegen haben, so Judith E. Tucker. [56]

3. Freiwillige Eheschließung oder Zwangsehe? Ein Blick auf die heutige Praxis

Einerseits folgt das Ehe- und Familienrecht in den arabischen und generell den meisten islamisch geprägten Staaten bis heute den Grundlinien des klassischen Schariarechts. Gleichzeitig muss beachtet werden, dass es in allen diesen Ländern Familienrechtsreformen gegeben hat, die aber nirgends die prinzipielle Gültigkeit des Schariarechts frontal in Frage stellten. Gewisse rechtliche Besserstellungen der Frauen wurden erreicht, wenn etwa die Möglichkeit zur Vielehe in etlichen arabischen Ländern eingeschränkt oder das gesetzliche Heiratsalter heraufgesetzt wurde. Die heutigen familienrechtlichen Regelungen sind meist eine Mischung aus modifiziertem Schariarecht, westlichen Rechtselementen und Gewohnheitsrecht. Die tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen unterscheiden sich von Land zu Land und vor allem zwischen Stadt und Land, denn überall in arabischen Gesellschaften besteht ein großes Stadt-Land-Gefälle.

3.1. Feldstudien im Jemen zur Eheschließung

Detaillierten Aufschluss über die heutige Praxis der Eheanbahnung in arabischen Gesellschaften können nur Feldstudien vor Ort geben. Für den Jemen existieren solche auf Feldstudien beruhende Erhebungen zur Frage der Freiwilligkeit der Eheschließung, [57] die die Verknüpfungen von „Tradition“ und „Moderne“, Schariarecht und dessen Anpassung an das 21. Jahrhundert deutlich machen:

Auch heute kann eine Braut im Jemen rechtlich ihren Ehevertrag nicht selbst schließen; dies muss ihr Vormund für sie tun. Er darf nach jemenitischem Recht sein Mündel nicht gegen seinen Willen verheiraten, kann aber eine von ihm vorgeschlagene Ehe, der er nicht zustimmt, durch seine Weigerung verhindern.

Nach der jemenitischen Verfassung sind Männer und Frauen einerseits gleichberechtigt. Frauen haben das Recht auf Bildung und das aktive und passive Wahlrecht. Einige Frauen nehmen Posten im Parlament ein, andere sind in den Medien, der Industrie, als Ärztinnen, Rechtsanwältinnen, Ingenieurinnen und sogar in der Spezialeinheit zur Terrorbekämpfung tätig.

Was ihre Mitsprache bei ihrer eigenen Eheschließung betrifft, so ist ihre Freiheit allerdings weiterhin begrenzt und weitgehend von der Einstellung ihrer Familien abhängig: Die Sorge um die Ehre der Familie spielt dort ebenso eine wichtige Rolle wie die stark nach Stämmen gegliederte jemenitische Gesellschaft, die Eheschließungen innerhalb der Familienclans bevorzugt. Frühe Eheschließungen sind darüberhinaus im ländlichen Bereich überaus häufig. [58] Ein jemenitisches Sprichwort besagt: „Marry your daughter off at the earliest possible age, so you are guaranteed safe from problems.“ [59]

Nach einer Erhebung unter Frauen mit Universitätsabschluss in Sana´a/Jemen vor wenigen Jahren [60] konnte Ursula Keller herausarbeiten, dass auch unter diesem zahlenmäßig kleinen, städtischen Klientel die Eheschließung bis heute selbstverständlich als Familienangelegenheit betrachtet wird. Keller konstatiert, dass in den politisch einflussreichen Schichten (vor allem den Scheichfamilien) die Eheanbahnung fest in den Händen der Männer liegt, obwohl gerade gebildete Frauen, die studieren oder einem Beruf nachgehen und verstärkt im öffentlichen Raum präsent sind, dort mögliche Heiratskandidaten durchaus kennenlernen.


3.1.1. Drei Arten der Eheschließung im Jemen 

Keller beschreibt für den städtischen Bereich des Jemen konkret drei Arten der Eheanbahnung:

a) die klassisch-arrangierte Form (arab. tariq al-usra), bei der die Familie die Initiative ergreift und eine Ehe anbahnt, bei der die Brautleute nicht mit entscheiden,
b) die von den Brautleuten beschlossene Ehe (arab. tariq al-bint), bei der der Bräutigam mit Zustimmung der Frau deren Vormund einen offiziellen Antrag unterbreitet [61] und
c) eine Mischform: Wenn die Braut sich den Anschein geben will, dass sie ihren bevorzugten Ehekandidaten nicht kennt, weil sie bei ihrer Familie Unverständnis oder aufgrund der Sorge um die Familienehre im Falle einer Liebesheirat sogar Ablehnung befürchtet, kann sie den Ehekandidaten bitten, bei ihrem Vater offiziell vorstellig zu werden, ohne dem Vater zuvor mitzuteilen, dass sie sich bereits für diesen Bewerber entschieden hat. Dann kann die Eheanbahnung, das Einverständnis des Vaters vorausgesetzt, den offiziellen Weg einer arrangierten Ehe gehen; es handelt sich aber de facto um eine Liebesheirat. [62] Würde der Vater das Ansinnen allerdings ablehnen, wird es für die Braut schwierig, ja wohl häufig unmöglich, den Kandidaten ihrer Wahl durchzusetzen. Ein Mann besitzt in derselben Situation vermehrte Möglichkeiten, eine Braut auch gegen den Willen seiner Familie zu wählen, wenn er von den Brauteltern einmal akzeptiert wurde.

Im ländlich-konservativen Bereich – und das gilt nicht nur für den Jemen – wo es für Frauen über die Mithilfe bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten hinaus oft wenige Möglichkeiten für Bildung und Erwerbsarbeit gibt, werden Ehen noch häufig traditionell arrangiert, vor allem zwischen den Kindern zweier Brüder. Vielfach existieren vor allem aufgrund der meßbar höheren Rate von Behinderungen jedoch bereits staatliche Kampagnen gegen diese nahen Verwandtenehen (wie etwa in Jordanien).

3.2. Die Frage der Freiwilligkeit der Eheschließung in anderen Ländern 

In anderen Ländern wie etwa Marokko, Algerien, Syrien, Jordanien oder Irak sind heute Eheschließungen unter Zwang gegen den Willen der Frau ausdrücklich untersagt (einige Sondergruppen wie die schiitische Rechtsschule der Jafariten räumen diese Möglichkeit jedoch ausdrücklich noch ein). [63] In Marokko darf nach Art. 12 der Richter hinsichtlich einer Eheschließung eine Anordnung treffen, wenn befürchtet wird, dass eine junge Frau als dauerhaft Unverheiratete unlauteres Verhalten an den Tag legen könnte. [64]

In einigen Ländern kann ein Vormund eine Tochter noch aufgrund eigener Entscheidung in die Ehe geben: So kann in Indien etwa ein Vater oder Vormund ein Mädchen noch unter 15, unter 16 in Pakistan und unter 18 in Bangladesh ohne Einspruchsmöglichkeit verheiraten. Die junge Frau kann jedoch mit der Begründung, sie sei vor der Pubertät verheiratet worden, bis 18 in Indien und in Pakistan bzw. 19 Jahren in Bangladesh die Scheidung verlangen [65] – wobei die Frage nach der praktischen Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs hier unberücksichtigt bleiben muss.

In anderen Ländern, wie etwa Jordanien, erlaubt das Familienrecht von 1976/77, dass ein Mädchen, das mindestens 15 Jahre alt ist und eine Eheschließung gegen den Willen ihres Vormunds ausdrücklich wünscht, vom Richter trotz des Einspruchs des Vormundes mit einem ihr Ebenbürtigen verheiratet werden kann. [66]

In Kuwait wird ein Mittelweg beschritten, wenn dort gesetzlich verfügt wird, dass eine Jungfrau zwischen der Pubertät und dem Alter von 25 Jahren zur Eheschließung einen Vormund benötigt, der auch der Richter sein kann. Eine Frau in zweiter Ehe oder über 25 Jahre kann ihren Ehepartner frei wählen, soll aber den Vertragsabschluss in die Hände ihres Vormunds legen.

In Tunesien wurde die Ehevormundschaft abgeschafft, Braut und Bräutigam treten beide als Vertragsparteien auf, die Braut muss der Ehe ausdrücklich zustimmen und selbst die Eheurkunde unterzeichnen. [67] Allerdings bedeuten solche Gesetzesänderungen nicht unbedingt das Ende der arrangierten Ehen (und vermutlich auch nicht der Zwangsehen). So kam eine Studie der „Union Nationale de la Femme Tunesienne“ von 1995 zu dem Schluss, dass in Tunesien in weniger als 50% aller Ehen die Beteiligten ihre Ehepartner selbst gewählt hatten und sich über die Hälfte der Männer, aber nur ein Drittel der Frauen „aus freien Stücken für ihren Ehepartnern entschieden“ [68] hatten.

Auch für Saudi-Arabien belegen Studien, dass den Brautleuten heute zwar mehr Mitspracherechte eingeräumt werden, aufgrund der strikten Geschlechtertrennung ein Kennenlernen jedoch sehr schwierig und arrangierte Ehen daher auch heute vielfach die Norm sind. Immerhin dürfen sich Brautleute heute häufiger einige Male unter Aufsicht von Verwandten vor Unterzeichnung des Ehevertrags treffen und die Zahl der Heiraten unter engen Verwandten ist rückläufig. [69]

Im Libanon muss ein Mädchen zwischen 9 und 17 Jahren bei Gericht die Erlaubnis zur Ehe beantragen und das Einverständnis ihres Vormunds besitzen. Auch nach dem 17. Lebensjahr benötigt sie das Einverständnis ihres Vormunds, das aber der Richter geben kann, wenn der Vormund dieses aus nicht nachvollziehbaren Gründen verweigert. Der Bräutigam benötigt nicht das Einverständnis seines Vormunds, das Gericht prüft jedoch seine finanziellen Möglichkeiten und sein Alter vor Abschluss eines Ehevertrags. [70] In Indonesien benötigt die Braut die Zustimmung ihres Vormunds nur unter 21 Jahren. [71]

Im ländlich-konservativen Bereich der Türkei, die ebenfalls ein Gesetz gegen Zwangsehen erlassen hat [72] und daher Männer und Frauen zur Zustimmung zur Heirat verpflichtet, wird teilweise davon abgesehen, dass Braut und/oder Bräutigam persönlich anwesend sind; d.h., beide können sich von anderen rechtlich vertreten lassen. Ali Toprak schildert in seiner Untersuchung zur Zwangsverheiratung von türkischen Männern „Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer“ im Jahr 2005, dass die Braut, die sich mit einer Krankheit von der Zeremonie entschuldigt, kulturell ein Zeichen ihres Nicht-Einverständnisses mit der Ehe sendet, die aber in der Regel dennoch geschlossen werden wird. [73]

4. Das Menschenrecht auf eine freiwillige Eheschließung

„Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenserklärung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.“ (Art. 16/2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, 1948)
Auch in Kulturen, die durch das Christentum, Judentum oder den Hinduismus geprägt sind oder waren, sind arrangierte Ehen oder auch Zwangsehen eine bekannte Erscheinung. Ja, die arrangierte Ehe gehörte in Europa lange Zeit unter Angehörigen des Adels oder bis heute etwa unter hinduistischen Familien zur weitverbreiteten Praxis und das auch innerhalb der oberen Bildungsschichten. Im Nahen Osten trifft man zumindest arrangierte Ehen auch bei christlich geprägten Bevölkerungsgruppen an. Aus dieser Perspektive ist die arrangierte Ehe im islamischen Kulturkreis kein singuläres Phänomen.

4.1. Zwangsehen in der Migration

Besonders in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit gerät jedoch die arrangierte Ehe gegen den Willen der Beteiligten – die Zwangsehe – durch die Migration und die Globalisierung, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen, Traditionen und Religionen in westlichen Gesellschaften erheblich intensiviert haben. Junge Frauen, die in einer freiheitlich-westlichen Gesellschaft aufgewachsen sind, erkennen dort ihre zwangsweise Verheiratung vermehrt als Unrecht und wenden sich teilweise hilfesuchend an Vertrauenspersonen, Behörden oder Schutzeinrichtungen.

Lässt sich mit Hilfe von deren Vermittlung der Konflikt mit der Familie nicht so lösen, dass diese den Plan der Zwangsverheiratung aufgibt und kommt zudem eine Bedrohungslage durch die Familie hinzu, bleibt den jungen Frauen in vielen Fällen nur der völlige Bruch mit ihren Angehörigen und ihr Untertauchen an einen unbekannten Ort. Manche der Frauen kehren aufgrund der oft zahlreich gemachten Versprechen, die Tochter von jetzt an nicht mehr zu einer Heirat drängen zu wollen, zu ihren Familien zurück. Nicht immer endet damit der Konflikt. War die beabsichtigte Eheschließung bereits publik gemacht oder der Ehevertrag unterzeichnet worden, wird eine Auflösung der Verbindung aufgrund des Ansehensverlustes von der Familie der Braut wohl meist als problematisch oder sogar unmöglich beurteilt werden – im schlimmsten Fall kann es nun zu einem Ehrenmord oder einem erneuten Versuch der Zwangsverheiratung oder Verschleppung kommen. Trotz dieser möglichen Entwicklung in Familien, die häufig bereits in der Vergangenheit von Rigidität in der Erziehung oder sogar Ausübung von Gewalt geprägt waren, kehren manche Opfer einer geplanten Zwangsheirat zu ihren Familien zurück, da ein völliger Kontaktabbruch, der für ein Leben an unbekanntem Ort mit neuer Identität Voraussetzung wäre, nicht von allen Frauen dauerhaft bewältigt wird.

Wurde noch vor 30 Jahren in Europa fast selbstverständlich angenommen, dass sich überkommene traditionelle und religiöse Vorstellungen in der Migration mit der Zeit abschwächen, ist in Teilen der dritten Generation von Muslimen in Europa eine gegenläufige Tendenz mit einer intensiveren Identifizierung mit dem Islam und seinen traditionellen Werten sowie einem verstärkten Festhalten, ja „Konservieren“ althergebrachter Traditionen feststellbar. Das betrifft auch die Praxis der arrangierten Ehen bzw. Zwangsheiraten. Hier existieren mehrere gegenläufige Tendenzen:

Einerseits entscheiden muslimische Heiratskandidaten in westlichen Ländern ebenso wie in islamisch geprägten Gesellschaften des Nahen Ostens heute häufiger und selbstverständlicher denn je eigenständig über ihre Eheschließung und dies ganz besonders im städtischen Bildungsbereich.

In anderen Fällen scheinen muslimische Ehekandidaten heute in westlichen Gesellschaften eine Mischform von Eigenentscheidung und arrangierter Ehe – eine Versöhnung zwischen Tradition und Moderne – zu wählen, indem sie ihren selbst gewählten Ehepartner den Eltern vorstellen, aber die tatsächliche Heirat von der Zustimmung der Eltern abhängig machen bzw., eine Ehe gegen den entschiedenen Willen der Eltern de facto nicht durchsetzen würden. Zukünftige Schwiegersöhne aus anderen Kulturkreisen haben es bei türkischen Brauteltern oft schwer, als Nicht-Muslime Anerkennung zu finden. Manche wählen daher in diesem Fall den Weg der Konversion. In anderen Fällen übernimmt heute das Internet die Rolle der traditionellen Anbahnung der Ehe durch die Mutter des Bräutigams, wenn die Familie für die Brautwerbung aufgrund der Migration fehlt. [74]

Aber auch in westlichen Diaspora-Gemeinschaften existiert heute die von den Eltern traditionell arrangierte Ehe, die mit den den Brautleuten gänzlich unbekannten Partnern in den Herkunftsländern zwischen den Familien vereinbart wird. Dies ist besonders dort der Fall, wo eine Eheschließung aus Zuneigung oder generell eine westliche Lebensart als schwaches Fundament für eine Eheschließung oder sogar als Schande betrachtet wird. In manchen Fällen handelt es sich dabei m. E. tatsächlich lediglich um arrangierte, aber von Braut und Bräutigam akzeptierte Ehen, in anderen um echte Zwangsehen. In diesen Fällen, in denen die Familie über die Eheschließung entscheidet, ohne den Beteiligten auch nur ein Mitspracherecht einzuräumen, bleibt besonders der Frau oft nur die Fügung in die Entscheidung ihrer Familie oder der totale Bruch mit ihr.

Weil ab 1961 vor allem aus diesem traditionell-konservativen, ländlichen Bereich der Türkei sowie später aus arabischen Ländern Menschen durch die Arbeitsmigration nach Europa kamen und hier teilweise Traditionen konservierten, die man besonders in der westlichen Türkei größtenteils längst hinter sich gelassen hat, sind auch in der dritten Migrantengeneration vor allem in diesem Bereich arrangierte Ehen und Zwangsehen nach wie vor anzutreffen. Hier existiert das Phänomen der sogenannten „Importbräute“, die teilweise ohne Kenntnis der jungen Frauen vorbereiteten Ferienheiraten (oder „Ferienverschleppungen“) in die Türkei sowie der bisweilen teuer angebotene „Verkauf“ eines sicheren Aufenthaltstitels einer jungen Frau in Europa an einen Ehekandidaten aus der Verwandtschaft, der noch höher gehandelt wird, wenn die Braut über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügt. Diese Art der Zwangsehen betrifft allerdings nicht nur junge Frauen, sondern auch Männer, wie Ahmet Toprak gezeigt hat. [75]

Zwangsehen, so belegen einschlägige Studien, werden heute von muslimischen Migrantenfamilien in westlichen Gesellschaften insbesondere aus Gründen der Sorge um den Erhalt der „Familienehre“ eingesetzt, ebenso auch aus wirtschaftlichen Gründen sowie zum Zweck des Familiennachzugs nach Europa; bei jungen Männern, deren ungute soziale Entwicklung die Familie in der Migration befürchtet oder beobachtet, laut Ahmet Toprak eher zur Disziplinierung ihres Verhaltens. In vielen Fällen gehören hier ein archaisches Rollenverständnis, eine hierarchische Familienstruktur und familiäre Gewalterfahrungen zu den Faktoren, die Zwangsehen begünstigen.

4.1.1. Zwangsehen als Menschenrechtsverletzung

Zwangsehen bedeuten für die Betroffenen eine grundlegende und dauerhafte Verletzung ihres Menschenrechts auf sexuelle Selbstbestimmung und eine Negierung des Grundsatzes der Gleichberechtigung. Sie stellen als legalisierte Form der Vergewaltigung eine besonders schlimme Form der Nötigung dar. Ihre Opfer verdienen jede Art von Unterstützung, zumal Zwangsehen häufig eine Reihe von weiteren Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen nach sich ziehen, wie etwa Einschränkungen und Verbote (der Berufstätigkeit oder Ausbildung der Ehefrau), ihre häusliche Ausbeutung sowie die Androhung oder Anwendung von Gewalt, so dass Zwangsehen von einer modernen Form der Sklaverei nicht wirklich zu unterscheiden sind. [76] Auch die Tatsache, dass viele Frauen in dieser Situation sich in ihr Schicksal scheinbar ergeben haben und die Möglichkeit zur Flucht oder Anklage nicht nutzen, ändert an dieser Einschätzung nichts und ist von Personen in ähnlichen Abhängigkeitsverhältnissen, wie etwa bei Opfern des Menschenhandels, seit langem bekannt.

Positiv zu vermerken ist, dass das Phänomen der Zwangsehe heute weltweit mehr Aufmerksamkeit erhält. Auf der UNO-Welt-Konferenz des Jahres 2000 in Peking wurden Zwangsehen zum ersten Mal als Verletzung der Menschenrechte anerkannt. [77] In Deutschland wurden Zwangsehen mit dem 1. 7. 2011 unter §237 StGB (eine Neufassung des § 240 Abs. 4,1, der eine Zwangsehe als „besonders schweren Fall“ von Nötigung definierte) ins Strafrecht aufgenommen und können nun in Deutschland mit 6 Monaten bis 5 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Verlässliche Statistiken zur Zahl der arrangierten Ehen oder Zwangsehen in westlichen Ländern existieren nicht; in einzelnen Städten wie Berlin oder Hamburg werden allerdings mehrere Hundert Fälle pro Jahr dokumentiert, zu denen nach Auffassung von Menschen- und Frauenrechtlerinnen noch eine möglicherweise hohe Dunkelziffer hinzuzurechnen ist. Nach Erstellung mehrerer Studien wie etwa seitens der Berliner Senatsverwaltung oder des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit einer Datenerhebung aus 1.500 Beratungseinrichtungen und dort Hilfe suchenden 3.443 Personen, [78] von denen sich 60% wegen Zwangsheirat an eine Beratungsstelle gewandt hatten, schwanken die einschlägigen Schätzungen für die Zahl der Zwangsheiraten zwischen 10% aller Ehen mit Migrationshintergrund und 50% aller einreisenden Türkinnen in Deutschland. [79] 4.1.2. Zwangsehen in islamisch geprägten Gesellschaften – Was müsste sich ändern? 

Findet die Praxis der Zwangsehen im Islam ihre Rechtfertigung? Einerseits ordnet sie der Koran weder an, noch rechtfertigt er sie. Andererseits sprechen die Überlieferungen vom Recht des Vormunds auf Verheiratung seines Mündels. Diejenigen, die das Recht des Vaters oder Bruders auf Verheiratung der Tochter oder Schwester verteidigen, rechtfertigen ihren Standpunkt mit Bezug auf den Islam, mit der in islamischen Rechtstexten definierten Weisungsberechtigung des Mannes über die Frau sowie mit traditionell-islamischen Vorstellungen von Geschlechtertrennung und Familienehre.

Besonders aus den Überlieferungstexten der Frühzeit des Islam schlägt uns eine patriarchalisch geprägte Kultur und Tradition entgegen, die das Verfügungsrecht des Vormunds über sein Mündel legitimiert und auch die Gehorsamspflicht der Frau und das Züchtigungsrecht des Ehemanns im Fall der „Widerspenstigkeit“ der Ehefrau nach Sure 4,34 miteinschließt. Aus diesen Überlieferungstexten wurden bis zum 10. Jahrhundert Rechtsnormen entwickelt, wie z. B. die im Schariarecht verankerte Gehorsamspflicht der Ehefrau gegen ihren Ehemann oder das Recht des Vormunds, eigenständig für sein Mündel einen Ehevertrag abschließen zu können. Durch die Ableitung des islamischen Rechts aus Koran und Überlieferung wurden die Werte der patriarchalischen Kultur Arabiens zur Norm erhoben und ihre prinzipielle Gültigkeit von Vertretern der klassischen Theologie bis heute niemals wirksam in Frage gestellt. Da die Nachahmung des Vorbilds Muhammads und der Prophetengefährten der Theologie bis heute ungebrochen als Ziel des Glaubens gelehrt wird, wird die Zwangsehe und das Bestimmungsrecht des Vaters über die Braut weiterhin im Namen des Islam verfochten werden, bis die islamische Überlieferung und das Schariarecht einer grundlegenden historisch-kritischen Neubewertung unterzogen werden.

Wo Zwangsehen heute im Kontext islamischer Gesellschaften geschlossen werden, mischen sich somit Patriarchalismus, traditionelle Auffassungen von Ehre und Schande, der Wunsch nach wirtschaftlicher Interessenwahrung oder günstiger Clanverbindung mit einem Festhalten an der Vorstellung von der weisungsberechtigten Vormundschaft des Vaters in Eheschließungsfragen und klassisch-schariarechtlichen Regelungen zur Gehorsamspflicht der Frau zu einer Gemengenlage, die in der Summe besonders jungen und wenig gebildeten Frauen ihr Recht auf Selbstbestimmung und eine individuelle Lebensplanung nimmt. [80]

In den Moscheegemeinden besteht daher die Notwendigkeit, nicht nur die Thematik der – dort allenthalben verurteilten – Zwangsehe wiederholt aufzugreifen und den Gemeinden die daraus folgenden negativen Auswirkungen zu erläutern. Es sollten dort in diesem Zusammenhang auch die Problematik der häuslichen Gewalt mit Rückgriff auf den „Züchtigungsvers“ in Sure 4,34 und die traditionell weithin anerkannte Verfügungsgewalt der Väter über die Töchter kritisch beleuchtet werden. Dass Zwang und Gewalt keine Mittel sind, jungen Menschen gegen deren erklärten Willen die althergebrachten dörflich-patriarchalischen Traditionen aufzuzwingen und sie ihres Selbstbestimmungsrechts zu berauben, muss mit Selbstverständlichkeit auch in den Moscheen gelehrt werden. Dort, wo Familien oder Moscheen von jungen Menschen Rückzug in althergebrachte Traditionen sowie Abschottung von den westlichen Gesellschaften fordern und dazu auch das Mittel der Zwangsheirat einsetzen, berauben sie ihre Kinder ihrer Potentiale, Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten sowie grundlegender Menschenrechte. Von daher geht es beim Thema Zwangsheirat nicht nur um ein kulturelles Phänomen, sondern nach geltendem Recht um einen Straftatbestand und um eine gesellschaftspolitische Problematik, die keine Gleichgültigkeit erlaubt.

Im Hinblick auf muslimische Gemeinschaften in westlichen Ländern liegt daher auf der einen Seite eine Lösung weder in einer Haftbarmachung „des Islam“ oder einer Verdächtigung aller Muslime, noch in einer Negierung oder einem Hinwegsehen über die bestehende Problematik. [81] Für Zwangsheiraten darf es in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften keine Entschuldigung geben; die Betroffenen verdienen jede Form der Hilfeleistung und Unterstützung. Gleichzeitig lassen Entwicklungen in islamischen Gesellschaften wie eine zunehmende Verstädterung und eine verbesserte Bildungssituation, eine zunehmende Individualisierung, urbane Liberalisierung und Globalisierung – allein durch das Internet – weitreichende Veränderungen und damit langfristig Verbesserungen der Frauenrechte erhoffen.

Endnoten

[1] Dieser Text ist die überarbeitete Fassung meiner Probevorlesung vor dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Rahmen meines Habilitationsverfahrens im Fach Islamwissenschaft am 11.07.2012[2] Dass diese Grenzziehung bisweilen schwierig sein, bzw. die arrangierte Ehe „unter bestimmten Bedingungen in eine Zwangsehe umschlagen kann“, betont z. B. Silvia Tellenbach. Ehen wider Willen. Anmerkungen zur Zwangsverheiratung in Deutschland. In: Arkan, Sabih; Öztan, Firat. Prof. Dr. Firat Öztan´a armagan. II. Cilt. Turhan Kitabevi: Ankara, 2010, S. 2037-2052, hier S. 2038[3] islam.de/7756.php[4] So etwa Gülay Wagishauser für die Ahmadiyya-Gemeinschaft in: www.echo-online.de/region/darmstadt/Zwangsheirat-ist-unislamisch;art1231,2488042 (26.06.2012)[5] www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/132799/deutsche-islam-konferenz (05.07.2012)[6] Seyran Atesch. Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin. Rowohlt: Berlin, 2003; Necla Kelek. Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland. Kiepenheuer & Witsch: Köln, 2006; Necla Kelek. Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch¬muslimischen Mannes. Kiepenheuer & Witsch: Köln, 2006; Serap Çileli. Wir sind eure Töchter, nicht eure Ehre. Blanvalet: München, 2006[7] Ich zitiere, wenn nicht anders angegeben, nach der Übersetzung von Rudi Paret. Der Koran. Kohlhammer: Stuttgart, 1980 (2)[8] So zusammenfassend Thomas Rauscher. Shari´a. Islamisches Eherecht der sunna und shi´a. Verlag für Standesamtswesen: Frankfurt, 1987, S. 30-31[9] Darauf verweist besonders Mounira M. Charrad. States and Women´s Rights. The Making of Postcolonial Tunisia, Algeria, and Morocco. University of California Press: Berkeley, 2001, S. 32[10] Ebd., S. 34[11] So zusammenfassend Jamal J. Nasir. The Islamic Law of Personal Status. London: Graham & Trotman, 1986, S. 46[12] So etwa ´Abd Allah Ibn Muhammad Ibn Abi Shayba. Musannaf fi ahadit wa ´l-atar. Beirut 1989, Vol. 3, S. 272, Nr. 15, zitiert nach: Susan A. Spectorsky. Women in Classical Islamic Law. E. J. Brill: Leiden, 2010, S. 64[13] Ebd., S. 65[14] Tanzil-ur-Rahman. A Code of Muslim Personal Law, Vol. 1. Hamdard National Foundation: Karachi, 1978, S. 39[15] Die Vormundschaft in Bezug auf die Eheschließung wird auf Arabisch auch wilayat muscharaka (also etwa: Vormunds-Partnerschaft oder: geteilte Vormundschaft) genannt: Wael B. Hallaq Shari`a. Theory, Practice, Transformations. Cambridge University Press: Cambridge, 2009, S. 275[16] Muhammad Ibn Yazid Ibn Maja. Sunan. Vol. 1, Kairo, 1952/53, S. 606, No. 1882, zitiert nach Susan A. Spectorsky. Women in Classical Islamic Law. E. J. Brill: Leiden, 2010, S. 148[17] Susan A. Spectorsky. Women in Classical Islamic Law. E. J. Brill: Leiden, 2010, S. 69[18] Diese Verwandtschaftsgrade benennt Jamal J. Nasir. The Islamic Law of Personal Status. London: Graham & Trotman, 1986, S. 46-47[19] Susan A. Spectorsky. Women in Classical Islamic Law. E. J. Brill: Leiden, 2010, S. 70[20] So erkennt etwa ´Abdur Rahman I. Doi auch heute bei manchen jungen Ehekandidatinnen „immaturity or over-zealousness“, wenn sie den falschen Kandidaten ins Auge fassen und unterstreicht daher, es sei in diesen Fällen für den Vater bzw. Vormund „rather incumbent“, diesen Bräutigam zu verbieten und selbst einen passenderen Partner zu wählen. ´Abdur Rahman I. Doi. Woman in Shari´ah (Islamic Law). Ta-Ha Publishers Ltd.: London, 1996, S. 35[21] Syeed Ameer Ali. Mahommedan Law. Vol. II. Kitab Bhavan: New Delhi, 1986, S. 264[22] Sahih Muslim by Imam Muslim, with explanatory Notes and brief biographical Sketches of major Narrators. Sh. Muhammad Ashraf: Lahore, 1990, Vol. II.B, S. 703[23] Ebd.[24] Sahih Al-Bukhari, Arabic-English. Translated by Muhammad Muhsin Khan. 9 Bde., Kitab Bhavan: New Delhi, 1987, Bd. 7, S. 51[25] Ebd., 52[26] Zitiert nach: Jusuf al-Qaradawi. Erlaubtes und Verbotenes im Islam. SKD Bavaria: München, 1989, S. 153, leider nur mit der Angabe „Tirmidhi“.[27] So Mounira M. Charrad. States and Women´s Rights. The Making of Postcolonial Tunisia, Algeria, and Morocco. University of California Press: Berkeley, 2001, S. 256[28] Mounira M. Charrad fasst die malikitische Sichtweise zusammen: „Only the guardian´s verbal expression of consent, and not the bride´s, makes the marriage legally valid. In case of disagreement between the woman and her father over the choice of a spouse, the right of decision is legally granted to the father or the legal guardian.“ Ebd., S. 33-34[29] So Joseph Schacht. Nikah. In: EI VIII. E. J. Brill: 1995 (2), S. 26-29, hier S. 27[30] Ebd.[31] So Wael B. Hallaq Shari´a. Theory, Practice, Transformations. Cambridge University Press: Cambridge, 2009, S. 276[32] Ebd., S. 274[33] Mawlana Ashra Ali Thanawi. The Islamic Marriage. Darul Ishaat: Karachi, 2003, S. 98[34] Susan A. Spectorsky. Women in Classical Islamic Law. E. J. Brill: Leiden, 2010, S. 177[35] So erläutert Y. Linant De Bellefonds. Kafå´a. in: EI IV. E. J. Brill: 1990 (2), S. 404[36] Tanzil-ur-Rahman. A Code of Muslim Personal Law, Vol. 1. Hamdard National Foundation: Karachi, 1978, S. 40[37] Susan A. Spectorsky. Women in Classical Islamic Law. E. J. Brill: Leiden, 2010, S. 66[38] Mathias Rohe. Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart. C. H. Beck: München, 2009, S. 85[39] So auch Mawlana Ashra Ali Thanawi. The Islamic Marriage. Darul Ishaat: Karachi, 2003, S. 99[40] Wael B. Hallaq Shari´a. Theory, Practice, Transformations. Cambridge University Press: Cambridge, 2009, S. 275[41] So betonten etliche Juristen, dass es nicht statthaft sei, wenn eine Frau unter ihrem sozialen Stand heiratete, während dies umgekehrt weitaus weniger problematisch erschien. Es kann vermutet werden, dass einer der Gründe dafür in der zu erwartenden materiellen Absicherung der Braut durch das Brautgeld bzw. in der Höhe des Zugewinns für die ganze Familie lag: Vgl. die Erläuterungen bei Y. Linant De Bellefonds. Kafå´a. in: EI IV. E. J. Brill: 1990 (2), S. 404[42] Schimmel, Annemarie. Meine Seele ist eine Frau. Das Weibliche im Islam. Kösel: München, 1995, S. 12 (Hervorhebung im Original)[43] Joseph Schacht. Nikah. In: EI VIII. E. J. Brill: 1995 (2), S. 26-29, hier S. 26[44] So resümiert Susan S. Spectorsky: „This brief outline of the majority of verses in the Qur´an about women´s lives depicts a woman who is a member of a patriarchal household.“ Susan A. Spectorsky. Women in Classical Islamic Law. E. J. Brill: Leiden, 2010, S. 59[45] Sahih Al-Bukhari, Arabic-English. Translated by Muhammad Muhsin Khan. 9 Bde., Kitab Bhavan: New Delhi, 1987, hier Bd. 7, S. 49[46] Mounira M. Charrad. States and Women´s Rights. The Making of Postcolonial Tunisia, Algeria, and Morocco. University of California Press: Berkeley, 2001, S. 256[47] Ch. Pellat. Djabr. In: EI XIII, S. 233-234, hier S. 233[48] So Joseph Schacht. Nikah. In: EI VIII. E. J. Brill: 1995 (2), S. 26-29, hier S. 27[49] Solche Verheiratungen durch den Vormund mit dem Ziel eigener Aufwertung an Status, gesellschaftlicher Position und finanziellen Gewinns oder der Erlangung des Erbes des eigenen Mündels werden von muslimischen Autoren immer wieder kritisiert: Vgl. etwa die Schrift von al-Tahir al-Haddad aus dem Jahr 1930, die diesen Machtmissbrauch nachdrücklich tadelt. Ronak Husni; Daniel L. Newman. Muslim Women in Law and Society. Annotated translation of al-Tahir al-Haddad´s Imra´tuna fi ´l-shari´a wa ´l-mujtama´. Routledge: London, 2007, S. 58[50] Syeed Ameer Ali. Mahommedan Law. Vol. II. Kitab Bhavan: New Delhi, 1986, S. 264-265[51] So Judith E. Tucker. In the House of the Law. Gender and Islamic Law in Ottoman Syria and Palestine. University of California Press: Berkeley, 1998, S. 50-51[52] Peter Heine; Adel Theodor Khoury. Ehe, Eheschließung und die Stellung der Frau. In: Adel Theodor Khoury; Peter Heine; Janbernd Oebbecke. Handbuch Recht und Kultur des Islams in der deutschen Gesellschaft. Probleme im Alltag, Hintergründe, Antworten. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh, 2000, S. 129-141, hier S. 134[53] Vgl. etwa die Kritik von Mawlana Ashra Ali Thanawi. The Islamic Marriage. Darul Ishaat: Karachi, 2003, S. 98[54] So z. B. bei Holger Vagt. Die Frau in Saudi-Arabien zwischen Tradition und Moderne. Klaus Schwarz: Berlin, 1992 oder bei Stephanie Waletzki. Ehe und Ehescheidung in Tunesien. Zur Stellung der Frau in Recht und Gesellschaft. Klaus Schwarz Verlag: Berlin, 2001[55] Judith E. Tucker. The Arab Family in History. „Otherness“ and the Study of the Family. In: Dies. (Hg.). Arab Women. Old Boundaries, new Frontiers. Indiana University Press: Bloomington, 1993, S. 195-207[56] Judith E. Tucker. The Arab Family in History. „Otherness“ and the Study of the Family. In: Dies. (Hg.). Arab Women. Old Boundaries, new Frontiers. Indiana University Press: Bloomington, 1993, S. 195-207, hier S. 202-205[57] Ursula Keller. „Wie willst du sie heiraten, wo du sie doch gar nicht kennst?!“ Heiratsstrategien gebildeter Frauen in Sana´a, Jemen. Klaus Schwarz: Berlin, 2002[58] Das gilt auch für den ländlich-konservativen Bereich der Türkei. Vgl. die Schilderung der traditionellen Verhältnisse bei Ahmet Toprak. Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre. Lambertus: Freiburg, 2005, S. 71[59] Zitiert nach Linda Boxberger. From Two States to One: Women´s Lives in the Transformation of Yemen. In: Herbert L. Bodman; Nayereh Tohidi (Hg.). Women in Muslim Societies. Diversity with Unity. Lynne Rienner Publ.: London, 1998, S. 119-136, hier S. 119[60] Ursula Keller. „Wie willst du sie heiraten, wo du sie doch gar nicht kennst?!“ Heiratsstrategien gebildeter Frauen in Sana´a, Jemen. Klaus Schwarz: Berlin, 2002[61] Ebd. S. 57[62] Vgl. die Schilderung eines konkreten Falles einer solchen Eheanbahnung ebd., S. 75-76[63] Vgl. den Wortlaut der entsprechenden Bestimmungen bei Jamal J. Nasir. The Islamic Law of Personal Status. London: Graham & Trotman, 1986, S. 47-48[64] So Pellat, Ch. Djabr. In: EI XII, S. 233-234[65] Zeenat Shaukat Ali. The Empowerment of Women in Islam, with Special Reference to Marriage and Divorce. Vakils, Feffer and Simons Ltd.: Mumbai, 1987, S. 203[66] Ebd., S. 202[67] Stephanie Waletzki. Ehe und Ehescheidung in Tunesien. Zur Stellung der Frau in Recht und Gesellschaft. Klaus Schwarz Verlag: Berlin, 2001, S. 151[68] So zusammenfassend ebd., S. 315[69] Holger Vagt. Die Frau in Saudi-Arabien zwischen Tradition und Moderne. Klaus Schwarz: Berlin, 1992, S. 141[70] Jamal J. Nasir. The Islamic Law of Personal Status. Kluwer Law International: The Hague, 2002 (3), S.. 54[71] Zeenat Shaukat Ali. The Empowerment of Women in Islam, with Special Reference to Marriage and Divorce. Vakils, Feffer and Simons Ltd.: Mumbai, 1987, S. 203[72] Vgl. die Ausführungen zur Gesetzeslage in der Türkei bei Silvia Tellenbach. Ehen wider Willen. Anmerkungen zur Zwangsverheiratung in Deutschland. In: Arkan, Sabih; Öztan, Firat. Prof. Dr. Firat Öztan´a armagan. II. Cilt. Turhan Kitabevi: Ankara, 2010, S. 2037-2052, hier S. 2044[73] Ahmet Toprak. Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre. Lambertus: Freiburg, 2005, S. 78-81[74] Dies beschreibt Lori Peek in Bezug auf die „Marriage Practices“ für die verhältnismäßig kleine islamische Gemeinschaft in den USA: Lori Peek. The United States. In: EWIC, Vol. 3. E. J. 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Prof. Dr. Firat Öztan´a armagan. II. Cilt. Turhan Kitabevi: Ankara, 2010, S. 2037-2052, hier S. 2038[78] Zwangsverheiratung in Deutschland. Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Baden-Baden: Nomos, 2011[79] Ebd.[80] Dabei bilden die schariarechtlichen Regelungen in islamisch geprägten Gesellschaften nicht unbedingt den Gipfel der Benachteiligungen, sondern stellen Frauen noch meist besser als das traditionelle Stammesrecht wie etwa der Paschtunen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet oder der Berber in Nordafrika. So weist Mounira M. Charrad darauf hin, dass nach kabylischem Recht Berber-Frauen nicht nur ohne Mitspracherecht verheiratet und vom Erbe ausgeschlossen, sondern beim Tod ihres Mannes selbst weitervererbt wurden. Auch der Brautpreis ging nicht in den Besitz der Frau über, sondern an ihren Vater bzw. Vormund. Mounira M. Charrad. States and Women´s Rights. The Making of Postcolonial Tunisia, Algeria, and Morocco. 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Literaturhinweise

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Über die Autorin 

Prof. Dr. Christine Schirrmacher ist promovierte Islamwissenschaftlerin, Professorin für Islamkunde an der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Leuven/Belgien und wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Islamfragen
[www.islaminstitut.de …]

Dieser Text ist die überarbeitete Fassung ihrer Probevorlesung vor dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Rahmen ihres Habilitationsverfahrens im Fach Islamwissenschaft am 11.07.2012.

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