China: Das Schicksal der Uiguren

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) sorgt sich um die die Folgen der Corona-Pandemie für die Uiguren.

Das einzige Foto inhaftierter Uiguren in einem chinesischen Umerziehungslager, das in die Öffentlichkeit gelangte. Es werden weiterhin geschätzte 1-3 Millionen Uiguren und Mitglieder anderer muslimischer Minderheiten in tausenden politischen Umerziehungslagern in der gesamten Region festgehalten. Foto: uyghur_nur, twitter

Wirtschaftsbeziehungen sind kein Freibrief für Unterdrückung 

Es war höchste Zeit für ein Zeichen – ein Zeichen, dass die Weltgemeinschaft das Schicksal der Uiguren nicht vergessen hat. Denn in den letzten Jahren hat sich die Menschenrechtssituation für die mehr als zehn Millionen Uiguren muslimischen Glaubens im Autonomiegebiet Xinjiang in der Volksrepublik China dramatisch verschlechtert. Die Uiguren leiden verstärkt unter politischer Indoktrination, weitreichenden Überwachungsmaßnahmen und willkürlichen Festnahmen. Etwa eine Million Uiguren befinden sich in Umerziehungslagern. Das Europäische Parlament hat China nun die Stirn geboten und sich gleich doppelt für die Uiguren stark gemacht: Der Sacharow-Preis wurde am 18. Dezember 2019 an den uigurischen Wirtschaftswissenschaftler Ilham Tohti verliehen. Einen Tag später forderte das EU Parlament in einer Resolution den chinesischen Staat auf, die Grundfreiheiten der Uiguren zu achten.

Junger Uigure verkauft Wolle auf dem Basar von Kashgar. Bild: UN Photo/F Charton

Moschee in der autonomen Region Xinjiang. Chinesische Behörden zerstörten tausende von Moscheen und 85% der Altstadt der 2000 Jahre alten Hauptstadt Kaschgar. Bild: andy chung auf Pixabay

Die Uiguren leben in der als Ostturkestan bekannten Region Zentralasiens, die seit 1949 von der Volksrepublik China besetzt ist. Insgesamt leben rund zehn Millionen Uiguren in China, eine turksprachige muslimische Volksgruppe, die ethnisch mit den Türken verwandt sind. Seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping im März 2013 hat sich die Menschenrechtslage in China weiter verschlechtert, insbesondere im Autonomiegebiet Xinjiang, der Heimat der Uiguren. Signifikante Menschenrechtsverletzungen stehen dort auf der Tagesordnung: Starke Überwachungsmaßnahmen mit Gesichtserkennungsverfahren, politische Indoktrinierung, erzwungene kulturelle Assimilation, willkürliche Festnahmen, Folter und starke Einschränkungen bei der Religionsausübung. Selbst im Ausland lebende Uiguren stehen unter der Verfolgung Chinas. Sie werden unter Druck gesetzt, nach China zurückzukehren, drangsaliert und dazu gezwungen, andere Uiguren auszuspionieren.

Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der IGFM, kritisiert in diesem Zusammenhang die außenpolitische Zurückhaltung der Bundesrepublik und der anderen EU-Staaten gegenüber den grauenhaften Menschenrechtsverletzungen durch die chinesische Regierung: „Das ängstliche Wegschauen der Europäer spielt Peking in die Hände. Das betrifft die Unterdrückung der Tibeter ebenso wie die der Uiguren. Präsident Xi weiß genau, dass er ein ganzes Volk verschwinden lassen kann, ohne dass in Europa jemand die lukrativen Geschäfte mit China in Frage stellt. Wirtschaftsbeziehungen sind kein Freibrief für die Unterdrückung von Minderheiten.“ Auch Margarete Bause, Fraktionssprecherin der Grünen für Menschenrechte und Sicherheitspolitik bekräftigte jüngst in einem Radio-Interview: „Und nachdem das verheerende Ausmaß der größten Menschenrechtsverbrechen der Gegenwart jetzt ganz offenbar ist, muss man sich jetzt dazu durchringen und darf nicht mehr Rücksicht nehmen auf etwaige wirtschaftliche Beziehungen.“

Millionen Uiguren in Umerziehungslagern

Schon vor Jahren hat der Staat eine Kampagne ins Leben gerufen, um die Uiguren zu assimilieren, zu unterdrücken und umzuerziehen. Dadurch sollen sie ihre kulturelle, religiöse und sprachliche Identität langfristig verlieren. Es werden weiterhin geschätzte 1-3 Millionen Uiguren und Mitglieder anderer muslimischer Minderheiten in tausenden politischen Umerziehungslagern in der gesamten Region festgehalten. Die Lagerinsassen werden auf unbestimmte Zeit und ohne Anklage oder Rechtsvertretung festgehalten und werden politischer Indoktrinierung unterzogen. Sie sind in unhygienischen und überfüllten Zellen untergebracht; Berichte von Folter, Nahrungsmangel, sexuellem Missbrauch und Todesfällen in den Lagern sind weitverbreitet. Anlass zur Inhaftierung ist oft eine Reise ins Ausland oder wenn jemand als „zu fromm“ eingeschätzt werde. Seit der täuschenden Ankündigung durch Shohrat Zakir, Gouverneur der Uigurenregion, Ende Juli 2019, dass der überwiegende Teil der in Internierungslagern festgehaltenen Uiguren entlassen worden sei und Arbeit gefunden habe, versucht das Regime, die Mehrheit der erwachsenen Uiguren und anderer Minderheiten zu Zwangsarbeit zu verpflichten. Wie aus Recherchen des deutschen Wissenschaftlers Adrian Zenz hervorgeht, sollen die willkürlich inhaftierten Menschen für verschiedene Formen von Zwangs- oder jedenfalls unfreiwilliger arbeitsintensiver Fabrikarbeit eingesetzt werden, darunter auch zur Produktion von Exportgütern.

Die Verschleppung in Umerziehungslager führt zum Auseinanderreißen vieler Familien. Wenn eines oder beide Elternteile interniert sind, fällt den staatlichen Stellen die Umerziehung der Kinder leichter. Viele sind in internatsähnlichen Schulen untergebracht, in denen ausschließlich Hochchinesisch gesprochen werden darf. Chinas sogenanntes “zweisprachiges Bildungsprogramm” hat den Gebrauch des Uigurischen als Unterrichtssprache eliminiert. Seit 2019 überwachen Schulen in der gesamten Region rigoros, dass alle Schüler und Studierenden unter Androhung von Strafen ausschließlich Mandarin Chinesisch auf dem Gelände der Bildungseinrichtungen sprechen. Um herauszufinden, wie die Assimilierungskampagnen wirkt, schickt die Regierung regelmäßig Beamte in die Dörfer, die dann bei den Familien übernachten und diese überprüfen.

Totale Überwachung und Kontrolle

Die Regulierung und Überwachung aller Aspekte des religiösen Lebens, wie der Auswahl von Imamen, Fasten während des Ramadan, Zugang zu Moscheen oder das Verbot von Religionsausübung für minderjährige Uiguren, ist sichtbar in allen Teilen der Region. So stehen zum Beispiel  vor den Moscheen Schilder, die Besuchsregeln vorschreiben, verboten ist demnach der Eintritt für Studenten, Beamte und Angestellte. Die Zerstörung von kulturellen, historischen und religiösen Orten der Uiguren durch die chinesischen Behörden schreitet weiter voran. Beispielsweise wurden 85% der Altstadt von Kaschgar, einer 2000-jährigen Stadt, sowie sowie tausende von Moscheen zerstört. Kürzlich hat der bekannte türkischstämmige Profi-Fußballer Mesut Özil die Verfolgung der Uiguren öffentlich kritisiert. Diese Stellungnahme gab dem uigurischen Volk Hoffnung, da solch ein prominenter Fußballspieler den Mut hatte, seine Stimme zu erheben. Dass sich Arsenal FC so schnell von Mesut Özils Äußerungen distanzierte, bestätigte dem uigurischen Volk zum wiederholten Male, wie China seinen Einfluss nutzt, um jegliche Diskussion über die Unterdrückung der Uiguren mundtot zu machen. Es ist wert zu konstatieren, dass Arsenal nicht generell solche Statements abgibt, wenn Spieler sich zu menschenrechtlichen oder politischen Themen äußern.

Wirtschaftswissenschaftler Ilham Tohti, an einem unbekannten Ort im Gefängnis

Dolkun Isa, Präsident des Weltkongresses der Uiguren

Sacharow-Preis für Ilham Tohti – Sein Leben als Inspiration für alle Uiguren

Am 18. Dezember 2019 erhielt der uigurische Wirtschaftswissenschaftler und Professor Ilham Tohti, einer der prominentesten Vertreter der muslimischen Minderheit in China, den renommierten Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments. Dieser wird seit 1988 an Persönlichkeiten oder Organisationen verliehen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit einsetzen. Ilham Tohti wurde im Januar 2014 verhaftet und im darauffolgenden September in einem nur zweitägigen Prozess, in dem keine Zeugen zu seinen Gunsten aussagen durften, wegen „Seperatismus“ zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Sieben seiner ehemaligen Studenten wird vorgeworfen, mit ihm zusammen gearbeitet zu haben. Sie wurden daher zu Freiheitsstrafen zwischen drei und acht Jahren verurteilt. Diese Verhaftungen verdeutlichten den uigurischen Akademikern, dass Kritik oder gar Diskussionen über Staatspolitik nicht möglich ist und als Angriff auf die Macht der Kommunistischen Partei gesehen wird. Tohti gilt als einer der gemäßigten Kritiker, der stets auf Dialog mit den Han-Chinesen setzte und den Einsatz von Gewalt ablehnte. Der Preis wurde vom Präsidenten des Europäischen Parlaments, David Sassoli, stellvertretend an die Tochter von Ilham Tohti überreicht. Sassoli forderte von China die sofortige Freilassung des Preisträgers. Bei der Zeremonie sagte Jewher Ilham, dass sie nicht wisse, wo sich ihr Vater derzeit befinde und dass die chinesische Regierung zur Verantwortung gezogen werden müsse. Sie betonte aber auch, dass es nicht darum gehe, China zu bekämpfen, sondern die Menschenrechte zu schützen.

Dolkun Isa, der Präsident der Weltkongresses der Uiguren, der 2004 in München gegründet wurde, begrüßt die Entscheidung des Europäischen Parlaments, Ilham Tohti den diesjährigen Sacharow-Preis zu verleihen. „Bei der Verleihung des Sacharow-Preises an Prof. Ilham Tohti handelt es sich um eine wichtige Geste des Europäischen Parlaments. Sie bezeugt, dass die EU der Verfolgung der Uiguren nicht gleichgültig gegenübersteht, sondern mit der Preisverleihung Druck auf die chinesische Führung aufbaut. Dies gibt dem uigurischen Volk Hoffnung. Selbst wenn sich die Situation der Lagerinsassen durch die Preisverleihung nicht verändert hat, bleibt die Hoffnung, dass China unter diesem internationalen Druck bald einlenken wird.“

Zum Beitrag der Tagesschau über Ilham Tohti und die Preisverleihung

EU-Parlament bezieht Position für die Uiguren

Einen Tag später, am 19. Dezember 2019, hat das EU-Parlament in einer Resolution zur Lage der Uiguren Stellung bezogen. Darin heißt es, dass die Umerziehungslager „derzeit die weltweit größte Masseninternierung einer ethnischen Minderheitenbevölkerung“ sind. Bereits im August 2018 ermahnte die UN die Volksrepublik China wegen der Errichtung von Lagern zur Masseninternierung. Das EU-Parlament fordert die chinesische Regierung nun unter anderem dazu auf, die willkürliche Internierung der Uiguren und der Kasachen sofort zu beenden und die Lager zu schließen. Außerdem sollen Ilham Tohti und alle anderen politischen Gefangenen umgehend freigelassen werden. Unabhängige internationale Beobachter und Journalisten sollen zudem ungehinderten Zugang zum Autonomiegebiet Xinjiang erhalten. Die Namen sowie der Aufenthaltsort aller in den Lagern Inhaftierten sollen veröffentlicht werden. Der Europäische Rat wird aufgefordert, Sanktionen gegen bestimmte chinesische Beamte einzuführen und unter anderem deren ausländische Konten einzufrieren. Der Weltkongress der Uiguren begrüßt die aktuelle EU-Resolution, die bereits die dritte innerhalb eines Jahres ist, in der die Krise der Uiguren thematisiert wird. Der Weltkongress der Uiguren sieht die Resolution als „Wendepunkt der Position der EU in der Krise in Ostturkistan“ – auch weil sie die EU-Staaten dazu aufruft, mehr zum Schutz der in der EU lebenden Uiguren zu unternehmen, die von der chinesischen Regierung verfolgt und eingeschüchtert werden. „Wenn die EU die Maßnahmen der Resolution umsetzt, wäre das wirklich bedeutsam, um das Leiden der Uiguren zu beenden“, erklärte Dolkun Isa.

Stand: Dezember 2019

Weitere Informationen über das Zwangsarbeitslagersystem in China

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