Jordanien: Junge Muslime schützen Kirchen als Zeichen für Zusammenhalt
Nach den verheerenden Anschlägen auf Kirchen in Ägypten im Vorfeld der Osterfeiertage ergriffen junge Muslime in Jordanien die Initiative und schützten am Ostersonntag 2017 christliche Kirchen im gesamten Königreich. Sie zeigten damit öffentlich ihre Verbundenheit und Solidarität mit den Christen ihrer Heimat. Außerdem wollten sie ein Zeichen für die Einheit Jordaniens und das friedliche Zusammenleben der Religionen setzen.
Ein Drohvideo des „Islamischen Staates“ (IS) und die 44 ägyptischen Todesopfer aus der Vorwoche hatten auch in Jordanien Sorge und Angst verbreitet. In mehreren Regionen und Städten wie Amman, Zarqa, Ajlun oder Madaba versammelten sich muslimische Freiwillige vor Kirchen. Sie boten den Christen am Feiertag zusammen mit der ohnehin anwesenden Polizei zusätzlichen Schutz. Vor allem aber zeigten sie sowohl ihren christlichen Nachbarn als auch den Islamisten, dass die Extremisten sich nicht auf die Rückendeckung einer schweigenden Mehrheit stützen können.
Die jungen muslimischen Jordanier halfen bei Sicherheitskontrollen am Eingang der Kirchen, unterstützten das staatliche Sicherheitspersonal und standen vor den Kirchen Wache, während die Christen den Ostergottesdienst feierten. An einigen Orten wurden auch zusätzliche Kräfte von Polizei und Militär auf Abruf bereitgestellt. Die gesamten Osterfeiertage in Jordanien blieben ohne Zwischenfälle.
Ein beteiligter Muslim aus dem Gouvernement al-Balqa betonte, dass die Aktion zudem die Einheit Jordaniens unterstreichen solle sowie die Freiheit, seine Religion ohne Einschränkung und ohne Angst ausüben zu können. Andere beschrieben Jordanien als ein harmonisches Mosaik aus vielen verschiedenen Teilen. Mit dieser Art von Aktivismus wollten sie ein Beispiel für den gemeinsamen Kampf gegen Extremismus, Radikalisierung und Fremdenfeindlichkeit setzen. Selbstverständlich wünschen sich Christen und Muslime gleichermaßen, dass es keine Notwendigkeit für solchen Schutzmaßnahmen geben sollte. Die Gefahr gehe nach ihrer Ansicht nicht von Jordaniern oder einzelnen Religionsgemeinschaften im Land aus, sondern von externen Extremisten, die aus anderen Ländern nach Jordanien gekommen seien oder über ihre Hetze bis nach Jordanien einwirken.
Die IGFM begrüßt die Initiative der jungen Muslime in Jordanien sehr. Sie ist ein positives Zeichen in Zeiten von Konflikten zwischen Muslimen und Christen sowie innerhalb der muslimischen Welt. Die Initiative zeigt, dass Muslime und Christen friedlich zusammenleben können, sich respektieren und füreinander einstehen. Jordanien kann dabei beispielhaft vorangehen für andere Staaten, Regionen und Gemeinden. Es zeigt ein Land, in dem Muslime und Christen leben, die trotz erheblicher Schwierigkeiten offen füreinander einstehen und Religionsfreiheit leben.
Hintergrund zur Situation in Jordanien
Die große Mehrheit der Jordanier sind sunnitische Muslime. Geschätzt etwa fünf Prozent der Bevölkerung gehören verschiedenen christlichen Kirchen an. Das kleine, nur ca. sechseinhalb Millionen Einwohner zählende arabische Land hat in der Vergangenheit und aktuell eine enorme Zahl von Flüchtlingen aufgenommen. Darunter auch sehr viele Christen aus dem Irak und Syrien. In etwa die Hälfte der Bevölkerung des Königreiches ist palästinensischer Abstammung. Die Radikalisierung vieler Menschen im irakischen und syrischen Bürgerkrieg bleibt auch für die Nachbarländer nicht folgenlos. Viele Flüchtlinge sind ebenfalls radikalisiert. Gleichzeitig gibt es unter vielen Jordaniern eine heftige Abneigung gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Dazu beigetragen hat möglicherweise ein Video, das der IS am 2. Februar 2015 veröffentlichte. Es zeigt, wie der (muslimische) Pilot Moath al-Ksasbah aus Jordanien lebendig verbrannt wird. Der IS rechtfertigte das Verbrechen mit einem historischen Vorbild.
Anschläge auf Kirchen in Ägypten – Solidarität und Hass
Am Palmsonntag, den 9. April 2017, verübten islamische Extremisten zwei Anschläge auf koptische Kirchen in den ägyptischen Millionenstädten Alexandria und Tanta im Nildelta im Norden Ägyptens. Dabei starben insgesamt 44 Menschen, über 100 wurden verletzt, darunter viele Kinder. Um den koptischen Opfern zu helfen, riefen am Palmsonntag mehrere Moscheen in Tanta zu Solidaritätsaktionen und zur Blutspende für die betroffenen Christen auf. Viele Muslime beteiligten sich an der Aktion.
Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bekannte sich zu den Anschlägen. Daraufhin wurden viele Osterfeierlichkeiten aus Angst vor weiteren Anschlägen und aufgrund der Trauer über die Toten abgesagt. Auch die Sicherheitsvorkehrungen wurden weiter erhöht. Ägyptische Christen erkennen an, dass Präsident al-Sisi mit vielen symbolischen Gesten auf die christliche Minderheit zugeht und seine Unterstützung zeigt. Dennoch haben viele Christen in Ägypten das Gefühl, nicht ausreichend geschützt zu sein. Das Problem dabei ist nicht ein mangelnder Wille der Regierung, gegen Terroristen vorzugehen. Die Bedrohung geht von einem immer stärker um sich greifenden islamischen Extremismus aus. Unter den Islamisten des Landes grassiert eine heftige Ablehnung gegenüber Anders- und Nichtgläubigen. Hetze gegen Minderheiten durch Islamisten ist verbreitet.
Die Kopten in Ägypten sind die größte christliche Minderheit im Nahen und Mittleren Osten. Ihre genaue Zahl ist unbekannt. Von den über 90 Millionen Einwohnern Ägyptens sind nach verschiedenen Schätzungen sechs bis über zehn Prozent Christen. Diese Attentate im April waren keine Einzelfälle. Seit Jahren verüben Anhänger der Muslimbrüder, verschiedener salafistischer und dschihadistischer Gruppen Gewaltakte gegen religiöse Minderheiten.
Freiheit und Sicherheit nur durch Überwindung des Islamismus
Die wichtigste Ursache des Terrors in Ägypten wird nach Auffassung der IGFM von der Regierung vollständig geleugnet: Es ist der islamische Fundamentalismus. Das Regime bekämpfe ausschließlich die politischen Strömungen des Islamismus, die eine direkte Bedrohung der Macht des Militärs darstellen. Das sind vor allem die Muslimbrüder. Den religiösen Fundamentalismus ignoriert die ägyptische Regierung dagegen. Salafisten können unbehelligt vom Staat für Menschenrechtsverletzungen an Frauen und für die Diskriminierung koptischer Christen werben. Die ägyptische Regierung weigert sich überhaupt anzuerkennen, dass der Terror eine religiöse Komponente hat. Unpolitische aber viel radikalere Gruppen als die Muslimbrüder verbreiten in der Zwischenzeit mit Erfolg ihr fundamentalistisches Weltbild und Hass gegen Minderheiten.