Kuba: „Totalüberwachung Andersdenkender“

Demonstration der „Damen in Weiß“, die bekannteste Menschenrechtsgruppe auf Kuba. Die Frauengruppe der kubanischen Opposition entstand im Jahr 2003 als Zusammenschluss von Angehörigen und Lebenspartnern 79 regierungskritischer Journalisten, Oppositionspolitiker und Menschenrechtsaktivisten. Bilder: Dr. Benedikt Vallendar

Interview mit Kuba-Experten Dr. Vallendar

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte überbringt Hilfe für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf Kuba. Zu dieser Opfergruppe zählen ehemalige politische Gefangene und ihre Angehörigen, Bürgerrechtler und christliche Aktivisten. Die Hilfe wird seit 2004 von Einzelreisenden überbracht, die der IGFM nach ihrer Rückkehr über das Erlebte berichten. Einige der Reisenden veröffentlichen selbst Berichte in deutschen Medien. Zu ihnen zählt Dr. Benedikt Vallendar, mit dem Martin Lessenthin das nachfolgende Gespräch führte.

Herr Vallendar, Sie besuchten im August 2019 ein weiteres Mal Regimekritiker, Kirchenvertreter und Bürgerrechtsgruppen auf Kuba. Wie schätzen Sie die Lage der kubanischen Opposition ein?

Viele leben unter ständiger Bedrohung durch staatliche Organe, die auch nicht davor zurückschrecken, ins Privatleben einzugreifen. Kurz nach meinem Besuch bei José Daniel Ferrer, einem bekannten Gesicht der kubanischen Opposition, wurde er verhaftet und sitzt seither ohne Gerichtsurteil ein. Das Treffen mit Ferrer fand an einem vermeintlich geheimen Ort in Santiago de Cuba im Süden Kubas statt, was zeigt, dass die Totalüberwachung Andersdenkender allgegenwärtig ist.

Wie zeigt sich diese Totalüberwachung konkret?

Sobald westliche Politiker oder hochrangige ausländische Kirchenvertreter ins Land kommen, werden Oppositionelle oft unter Hausarrest gestellt oder in irgendwelchen Polizeidienststellen tagelang festgehalten. Eine beliebte Maßnahme ist es, junge Leute vor den Wohnungen bekannter Dissidenten tagelang randalieren und feiern zu lassen, damit diese keinen Schlaf finden. Üblich ist es auch, die Kinder von Bürgerrechtlern in der Schule öffentlich bloßzustellen und unter Druck zu setzen, was aber immer mehr an Schärfe verliert.

Warum ist das so?

Weil schulische Abschlüsse, also Bildung im weiteren Sinne, auf Kuba immer mehr an Bedeutung verliert. In anderen lateinamerikanischen Staaten, wo staatliche Abschlusszeugnisse ebenfalls kein gutes Einkommen garantieren, ist dies längst Realität. Immer mehr Kubaner merken, dass ihnen der Staat nichts zu bieten hat, dass man als selbstständiger Taxifahrer, Pensionsbetreiber oder mit einem kleinen Frisörladen oft mehr verdient, als beim Staat mit seinen lächerlich niedrigen Gehältern.

Dabei wird Kuba im Ausland doch immer gerade wegen seines guten Bildungswesens gelobt …

Ja, weil die geschönten Berichte und Expertisen darüber stets von der Regierung selbst stammen, was im Westen gern ungeprüft übernommen wird, wie so vieles andere, was angeblich eine „Errungenschaft“ der so genannten Revolution von 1959 gewesen ist. Kuba erstarrt in lethargischer Lähmung, während sich die selbst ernannten Repräsentanten in roter Revolutionsrhetorik à la Lenin und Stalin suhlen und gleichzeitig ihre Privilegien genießen. Die Kinder der Castros führen im Ausland ein Luxusleben, wovon der einfache Kubaner kaum etwas ahnt.

Was meinen Sie mit „angeblichen Errungenschaften“?

Etwa das im westlichen Ausland viel gerühmte, kubanische Gesundheitssystem, das bis heute nicht von unabhängigen Experten, Journalisten unter die Lupe genommen werden darf. Meinungs- und Pressefreiheit sind auf Kuba ein Fremdwort. Was gilt, ist das Wort der Partei, die es den Menschen tagein tagaus über die zentral gesteuerten Medien eintrichtert, bis aus der Lüge die Wahrheit, und aus der Wahrheit die Lüge wird, so wie in George Orwells „1984“. Andersdenkende, Kritiker und erklärte Gegner des Marxismus-Leninismus haben in der kubanischen Gesellschaft keinen Platz. Die Kirchen lässt man in Ruhe, solange sie sich nicht in die Politik einmischen, was häufig einer Gratwanderung gleicht. Bei seinem Staatsbesuch 2012 hatte der damalige Papst Benedikt XVI. während seiner Predigt auf dem Platz der Revolution in La Habana den „Geist der Unfreiheit“ beklagt und damit spontanen Beifall aus dem Publikum erhalten, den anwesende Zivilmitarbeiter der Staatssicherheit sofort unterbunden haben. Ich stand wenige Meter daneben, als das passierte.

Zur Person: Dr. Benedikt Vallendar, geboren 1969 im Rheinland, studierte Romanistik, Jura, Niederländische Philologie und Geschichte in Bonn, Madrid und an der FU Berlin. Er arbeitet als freier Publizist und Journalist und ist seit 2011 Berichterstatter der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt am Main. Auf sieben Kubareisen hat er die dortige Armut und die Dissidentenszene kennen gelernt und darüber in überregionalen Medien berichtet.

Worin besteht das größte Problem der kubanischen Opposition?

Dass es zu viele, unabhängig von einander agierende Gruppen, Grüppchen und Einzelpersonen gibt, was dem Staat ganz recht ist, da er sie damit leichter kontrollieren kann. Die Tatsache, dass die Bewegung UNPACU um Daniel Ferrer knapp 1.500 Mitglieder zählt, hat ihn zu einem ernst zu nehmenden Gegner der Diktatur gemacht. Und dies erklärt, auch warum er, aus fadenscheinigen Gründen, in Haft genommen wurde und nun für über vier Jahre unter Hausarrest steht. Was fehlt, ist ein Lech Walesa oder Vaclav Havel, in dessen Person sich die antikommunistischen Kräfte bündeln und die von der Bevölkerung als Identifikationsfigur anerkannt wird. Die Bloggerin Yoani Sánchez, die sich mit ihrem regierungskritischen Buch „Cuba libre“, freies Kuba von 2010 weltweit einen Namen gemacht hat, agiert zum Teil aus dem Ausland und hält sich eher zurück, sobald sie bei ihrer Familie in La Habana ist.

Was fürchtet das Regime am meisten?

Dass die PCC, die kommunistische Partei Kubas bei freien Wahlen die massive Ablehnung der Bevölkerung zu spüren bekäme; dass die letzten 70 Jahre, seit dem Machtantritt der Castros als Bankrotterklärung in die Geschichte eingehen würden. Dieses Horrorszenario hat die Regierung permanent vor Augen, wohl wissend, dass das Land allein wegen seiner Insellage noch immer in ihren Händen ist. Die spannende Frage ist, wie lange die Kubaner die Zustände in ihrem Land noch dulden. Ob es eines Tages zu einem Volksaufstand kommt, bleibt abzuwarten. Bisher legitimiert sich das Regime allein aus der Geschichte, die sie in ihrem Sinne auslegt und sich darin zur selbst ernannten Avantgarde der „Arbeiterklasse“ erklärt hat.

Gibt es auf Kuba eine alternative Kunst- und Kulturszene?

Durchaus, und doch führen viele Künstler und Literaten noch immer ein Schattendasein. Sie können ihre Bilder und Werke nur unter erschwerten Bedingungen ausstellen, und nicht selten geraten sie ins Visier der Sicherheitsorgane, etwa dann, wenn sie finanzielle Unterstützung von ausländischen NGOs erhalten. Problematisch wird es für Künstler, sobald sie mit ihrer Kunst den totalen Machtanspruch der kommunistischen Partei in Frage stellen, und die Forderung nach politischen Alternativen im Raum steht. Durch das Internet sind viele Künstler unabhängiger geworden, was mit eine Erklärung dafür ist, warum es die Regierung so stark reglementiert. Eine Stunde Internet kostet umgerechnet einen Euro, und oft sind die dafür notwendigen Rubbelkarten mit eingestanzter PIN nur gegen Aufpreis auf dem Schwarzmarkt erhältlich.

Welche Rolle spielen die US-amerikanischen Wirtschaftssanktionen gegen Kuba?

Sie machen sich vor allem im allgegenwärtigen Mangel bemerkbar. Mit den knapp zwei Milliarden US-Dollar Deviseneinnahmen, vor allem aus dem Tourismus, muss der Staat auf dem Weltmarkt alles Notwendige kaufen, von Grundnahrungsmitteln über Ersatzteile bis hin zu Benzin und Medikamenten. Das führt immer wieder zu Engpässen, da im Land selbst kaum etwas produziert wird. Selbst die Milch in einigen Luxushotels auf der Ferienhalbinsel Varadero kommt aus Deutschland. Auf der rund 800 Kilometer langen Busstrecke zwischen La Habana und Santiago de Cuba habe ich vielleicht zwei oder drei Einrichtungen gesehen, die nach Produktion oder Verkauf aussahen. Einmal mussten wir nachts drei Stunden auf ein Ersatzteil warten, weil der auch für westliche Verhältnisse teure und altersschwache Fernbus eine Reifenpanne hatte. Eine mitreisende Kubanerin kommentierte den unfreiwilligen Zwischenstopp mit den alles sagenden Worten: „Wie die Busse, so unser Land“.

Herr Vallendar, zu Ihren Gesprächspartnern auf Kuba gehörte Kubas bekanntester Bürgerrechtler und politischer Gefangener Daniel Ferrer. Es fällt auf, dass Sie auf keinem der Bilder mit Daniel Ferrer zusammen zu sehen sind…“.

Ja, das hätten die kubanischen Sicherheitsorgane sofort zum Anlass genommen, mich zu verhaften, da Ferrer in den Augen der Diktatur als Persona non grata gilt. Sich öffentlich mit ihm ablichten zu lassen, kommt einem politischen Verbrechen gleich. Solche Aufnahmen hätten als Grundlage für einen politischen Schauprozess gegen mich gedient, was ich nicht riskieren wollte. So habe ich am Ort des Interviews allein Fotos von ihm und seinem Mitstreiter gemacht, wovon die Behörden wohl über meine Handydaten Wind bekommen haben. Ferrer gehört auf Kuba zu denjenigen Dissidenten, die auf Schritt und Tritt überwacht werden, was ich zunächst unterschätzt hatte, zumal ich auch erst über viele Umwege mit einem geliehenen Moped zu ihm gefahren bin, und dabei von einem Vertrauten des Pastors von El Christo begleitet wurde. Zwei Tage nach dem Treffen mit Ferrer erschienen in meiner privaten Unterkunft in El Cristo zwei Sicherheitsleute in Zivil und nahmen mich mit zu einem Verhör.

Was haben Sie den Sicherheitsorganen über Ferrer gesagt? Sie mussten ja vieles aufschreiben …

Das, was ich seitenweise in dem kleinen Verhörraum geschrieben habe, hat mir einer der Sicherheitsleute diktiert, indem ich einen Packen holzfreien, auf Kuba kaum erhältlichen Kopierpapiers erhielt und dann loslegen musste. Also dass ich Daniel Ferrer als Journalist getroffen habe und mir der Verwerflichkeit meines Handelns bewusst sei. Es war wie in einem mittelalterlichen Inquisitionsverfahren, nur dass statt glühenden Zangen stets eine mehrjährige Haftstrafe im Raum stand. Ich habe das ganz gut verarbeitet, möchte aber eigentlich nicht mehr so ausführlich darüber sprechen, da die Situation doch recht bedrohlich für mich war, und ich nicht wusste, ob ich aus dem Land so ohne Weiteres wieder herauskommen würde.

Mein Geschriebenes hat Ferrer möglicherweise belastet. Ich habe das niemals aus freien Stücken getan, sondern stets mit der Drohung im Nacken, dass ich nach La Habana gebracht und dort in Untersuchungshaft gebracht würde. Es war wie wenn jemand mit geladener Pistole vor einem steht: Dann tut man alles, um seine nackte Haut zu retten. Im Nachhinein hat es mich an die Verleugnung durch Petrus nach der Festnahme Jesus‘ erinnert, an den berühmt-tragischen Satz „Ich kenne ihn nicht“. – Aber was hätte ich tun sollen? Den Helden geben und damit der IGFM und mir riesen Probleme, auch berufliche, schaffen? Wer hätte mich da wann rausgeholt? Und was wäre aus meiner Familie geworden, meinem Einkommen, das weggefallen wäre? Ich hatte keinen anwaltlichen Beistand, und von der Botschaft wollten die beiden Vernehmer mir auch niemanden geben … Es war eine sehr brenzlige Situation, in der ich mich aalglatt an die beiden Vernehmer anpassen musste, da ich nicht wusste, was die mit mir vorhatten…  – wer hätte mir die Jahre in Haft zurückgegeben? Dennoch belastet mich das schlechte Gewissen gegenüber Ferrer, dem man mein Geschriebenes wahrscheinlich im Prozess als „Beweis“ vor die Nase gelegt hat … und der jetzt dafür büßt, dass er freie Wahlen, ein Ende der Diktatur und die Aufarbeitung massiver Menschenrechtsverletzungen auf Kuba fordert.

Sie haben Kuba häufig bereist und haben sehr viele Menschen kennen gelernt. Die Festnahme im August 2019 war auch nicht Ihre erste Verhaftung mit Verhör …

Ja, es war mein zweites derartiges Erlebnis. Denn davor wurde ich bereits im Januar 2016 bei einer friedlichen Demonstration der Damen in Weiß in La Habana, nach dem Gottesdienstbesuch in Santa Rita im Stadtteil Miramar festgenommen. Damals wurde ich allerdings nur stundenlang von Zivilkräften der Staatssicherheit durch die Stadt gefahren, und das Verhör fand im Wagen in einer Seitenstraße statt. In der Zwischenzeit wurde mein Hotelzimmer durchsucht, wo sie aber nichts fanden. Ich merkte es daran, dass bei meiner Rückkehr die Tür leicht offenstand, was vielleicht auch eine subtile Warnung war. Festgenommen wurde damals auch der oppositionelle Pastor Manuel Morejón, den sie abends am Stadtrand aussetzten, von wo er dann im Bus nach Hause kam, verdreckt und ziemlich mitgenommen …

Herr Vallendar, vielen Dank für das Gespräch.

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