Kurdistan/Nordirak
In der autonomen Region Kurdistan im Nordirak haben mehrere tausende Jesidinnen und Jesiden Zuflucht gefunden, nachdem der IS im Jahr 2014 einen Völkermord an der jesidischen Gemeinschaft beging. Die IGFM ist seit 2014 in der Region Kurdistan aktiv und unterstützt die Flüchtlingscamps mit humanitärer Hilfe.
Die autonome Region Kurdistan im Irak ist der südliche Teil des kurdischen Siedlungsgebietes, dass sich über die Länder Irak, Syrien, Türkei und Iran erstreckt. Es handelt sich um eine multikulturelle Region, die von einer kurdischen Mehrheit bewohnt wird, aber multiethnisch und multireligiös ist, was sie vom Rest des Irak unterscheidet. Die Geschichte Kurdistans ist geprägt von Unabhängigkeitsbestrebungen und Revolutionen gegen Regimes, bis heute werden einige kurdische Siedlungsgebiete als umstrittene Gebiete des Nordiraks bezeichnet und sowohl von der kurdischen Regionalregierung als auch der irakischen Zentralregierung beansprucht. Rechtlich und verwaltungstechnisch wurde nach den Wahlen von 1991 das Regionalparlament von Kurdistan unter Beteiligung aller nationalen und religiösen Komponenten (Kurden, Turkmenen, Assyrer-Chaldäer, Jesiden, Kakais, Christen und Muslime) gewählt.
Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in Kurdistan / Nordirak
Nach dem Genozid an der jesidischen Gemeinschaft durch den IS im Jahr 2014, floh ein Großteil der Überlebenden von der Shingal-Region in die autonome Region Kurdistan und lebt dort seitdem in Flüchtlingscamps. Die IGFM ist seit 2014 in der Region Kurdistan aktiv und unterstützt die Camps mit humanitärer Hilfe. Unter der Leitung von Khalil Al-Rasho, Leiter der Humanitären Hilfen Naher Osten, finden regelmäßig Hilfstransporte, Unterstützung von Projekten, Kursen und Freizeitangeboten sowie Besuche der Camps statt. Die Hilfe für Menschen mit Behinderungen liegt der IGFM besonders am Herzen. Sie hört befreite Frauen und Mädchen an, dokumentiert ihre Berichte und bindet sie in die Aktivitäten der IGFM ein, damit sie ihre Traumata überwinden. Die Zahl der Hilfsorganisationen ist deutlich zurückgegangen, und daher kommt es auf jede an, die geblieben ist.
IGFM-Arbeit in den Flüchtlingscamps
Aus dem Provisorium Flüchtlingscamp ist für viele heute eine dauernde Bleibe geworden, verbunden mit neuen Herausforderungen: die Notwendigkeit zur Schaffung einer beständigen Infrastruktur, eines Schulbetriebs oder z.B. einer funktionierenden Gesundheitsversorgung. Die Überlebenden des Genozids kämpfen mit Traumata, anhaltenden Sicherheitsrisiken, Perspektivlosigkeit und einer nur schleppend anlaufenden juristischen Aufarbeitung der Verbrechen.
Die IGFM war bereits in vielen Flüchtlingscamps in Kurdistan aktiv und konnte humanitäre Hilfe leisten.
Genozid an der jesidischen Gemeinschaft 2014
In der Nacht vom 3./4. August 2014 überfielen Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) jesidische Städte und Dörfer in der Shingal-Region und begingen einen gezielten Völkermord an der religiösen Minderheit der Jesiden. Tausende unbewaffnete Jesiden, aber auch in dieser Region lebende Christen und Schiiten, wurden ermordet, Frauen und Mädchen verschleppt, vergewaltigt und schließlich wie beliebige Beute als „Sklavinnen“ an Kämpfer des IS verkauft, verschenkt, verlost oder verheiratet. Ihr Eigentum wurde geplündert oder zerstört. Die Verbrechen werden heute unter anderem von der UN und Deutschland als Genozid eingestuft und haben sich tief in die jesidische Identität eingebrannt. Es wurden mindestens 5.000 Jesiden ermordet und weitere 6.500 entführt, darunter viele Frauen und Kinder, von denen bis heute 2.500 verschwunden sind. Etwa 2.900 Gefangene wurden mit der Unterstützung der kurdischen Regionalregierung befreit.
Der IS rechtfertigte seine Verbrechen damit, dass Jesiden „Ungläubige“ seien und sprach ihnen praktisch das Recht auf Existenz ab. Von den 550.000 zuvor in der Shingal-Region lebenden Jesiden flohen über 350.000 in andere Gebiete oder ins Ausland. Die Flucht stellte eine besondere Herausforderung für die Anwohner dar: viele schafften es in die Berge des Shingal-Gebirges zu fliehen, waren dort aber bei Temperaturen über 40°C, Erschöpfung, Dehydrierung und Hunger ausgeliefert, während sie mehr und mehr vom IS eingekesselt wurden. Die YPG organisierten in der Folge eine Rettungsaktion und sicherten einen Korridor mit US-amerikanischer Luftunterstützung, durch den die sich zuvor in das Gebirge zurückgezogenen Jesiden nach Syrien geleitet werden konnten und retteten so zehntausende Leben.
Nach der Flucht nach Syrien gelangten die meisten Geflohenen in die kurdische Autonomieregion im Nordirak, in der große Flüchtlingscamps errichtet wurden und in denen bis heute ein großer Teil der geflüchteten Jesidinnen und Jesiden lebt. Zwar bieten die Camps einen gewissen Schutz, doch die Bedingungen sind schwierig und viele Menschen leiden unter psychischen Traumata. Ein Großteil der Geflüchteten möchte in die heimische Shingal-Region zurückkehren, jedoch erschweren einige Faktoren die Rückkehr immens. Die politische Lage in der Shingal-Region ist weiterhin instabil und verschiedene Gruppierungen wie die Peschmerga, die kurdische PKK aus der Türkei, Iran-nahe Milizen und die irakische Zentralregierung streiten um die Vorherrschaft.