Mahnwache in Berlin
Am 24. September 2023 hielt der Generalsekretär Matthias Boehning der IGFM eine Rede zum aserbaidschanischen Angriffskrieg und dem Leid der Armenier. Er forderte die EU und Deutschland klar Stellung zu beziehen und Sanktionen gegen Aserbaidschan zu verhängen.
Generalsekretär der IGFM Matthias Boehning hält Rede vor dem Bundeskanzleramt
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
Ich bin sehr bewegt von den Reden bei der heutigen Mahnwache – vielen Dank, dass Sie heute vor dem Bundeskanzleramt in Berlin gekommen sind!
Mein Name ist Matthias Boehning und ich vertrete die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in meiner Eigenschaft als Generalsekretär der IGFM und damit auch unsere deutsche Sektion, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM).
Zunächst möchte ich den Organisatoren und Förderern dieser Mahnwache meinen Dank aussprechen:
- Arbeitsgemeinschaft für Anerkennung (AGA) – Gegen Völkermord, für Völkerverständigung e.V.
- Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
- Zentralrat der Armenier in Deutschland
- Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland
Im Namen der IGFM unterstützen wir ausdrücklich die Ziele dieser Mahnwache und zeigen uns solidarisch mit ihrem Anliegen. Unsagbares Leid ist den Menschen in Bergkarabach in den letzten Tagen durch den Angriffskrieg Aserbaidschans, den Angriffskrieg von Präsident Ilham Aliyev, widerfahren. Das löst große Bestürzung bei uns aus, und ich möchte uns einladen, zunächst eine Schweigeminute für die Opfer der vergangenen Woche einzulegen.
Als Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, die in Armenien nationale Sektionen hat, beobachten wir die Situation sehr genau. Und wir sind entsetzt über die Aggression der letzten Tage. Der Zugang zu humanitärer Hilfe, zu Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff muss JETZT geschaffen werden! In Bergkarabach fehlt es derzeit an allem.
Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass einst Kamikaze-Drohnen mit der Aufschrift „Hundejäger“ automatisch auf Soldaten der kleinen Karabach-Armee stürzten. Dementsprechend waren die Menschen, deren Familien Opfer des ersten systematischen Völkermords des 20. Jahrhunderts wurden, selbst Opfer des ersten modernen Drohnenkriegs des 21. Jahrhunderts. Leider haben wir diese Woche wieder einmal erlebt, wie sich die Geschichte wiederholt.
Die Kriegsrhetorik eines der erklärten „verlässlichen Partner“ der EU ist unerträglich! Das ist nicht vereinbar mit unseren Werten und Überzeugungen! Von der Wiederherstellung einer verfassungsmäßigen Ordnung zu sprechen, ist zynisch und unmenschlich.
Wir stehen hier, weil wir für den Frieden in Arsach/Bergkarabach stehen. Den Bewohnern Bergkarabachs drohen ethnische Säuberungen. Alle Beobachter und internationalen Experten rechnen damit. Das Schicksal der Armenier in Arzakh scheint besiegelt.
Bergkarabach und der Latschin-Korridor sind aus unserer Sicht nur der Anfang des geplanten Landraubs Aserbaidschans. Bakus Liste umfasst auch den Sangesur-Korridor in Südarmenien. Er verkörpert die Verwirklichung des alten pantürkischen Traums von einem türkischen Reich, das sich von der Adria bis nach China erstreckt. Es ist nicht zuletzt Erdogans persönlicher Traum. Gleichzeitig bedeutet das aber auch ein Spiel mit dem Feuer, denn ein Flächenbrand bedroht die gesamte Region.
Jetzt ist es an der Zeit, dass die EU und Deutschland klar Stellung beziehen und eine klare Botschaft an Baku senden. In diesem Zusammenhang möchte ich mich ausdrücklich den Ausführungen von Roman Kuehn von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Diese Botschaft ist nicht nur für die Menschen in Bergkarabach von entscheidender Bedeutung. Diese Botschaft ist auch wichtig für die noch junge Demokratie in Armenien.
Zwar hat die EU in der jüngeren Vergangenheit eine wichtige Vermittlerrolle gespielt und sich auch bei der Beobachtermission stärker denn je engagiert. Aber jetzt ist es an der Zeit, von der Beobachtung zum Handeln überzugehen. Die Frage ist: Wird sich die EU als verlässlicher Partner erweisen? Oder wird es auch Armenien in Ruhe lassen und ein Trauma vertiefen, das die Armenier schon so oft durchlebt haben? Mit ihren wirtschaftlichen Verflechtungen im Energiesektor hat die EU erheblichen Einfluss auf Baku. Ein entscheidendes Signal könnte Aserbaidschan an einem sensiblen Punkt treffen. Die Chance für eine klare Botschaft ist da!
Die geopolitischen Zusammenhänge und Implikationen gehen weit über Bergkarabach hinaus. Dessen sind wir uns bewusst. Es ist kompliziert. Vom Ukraine-Krieg über die Rolle von Belarus bis hin zu den Interessen des Iran gibt es viele Faktoren zu berücksichtigen. Aber als Menschenrechtsorganisation weisen wir darauf hin: Die wichtigsten Faktoren sind immer und überall die Menschen! Und während wir hier demonstrieren, ist das Leid in Bergkarabach unerträglich.
Deshalb wiederhole ich unsere Forderungen an Bundeskanzler Scholz: Das Existenz- und Selbstbestimmungsrecht der armenischen Bevölkerung in Arsach/Bergkarabach muss durchgesetzt werden! Wir brauchen wirksame Sanktionen gegen das Alijew-Regime. Bei Menschenrechtsverletzungen darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden! Und die Bundesregierung darf zum Völkermord an den Armeniern nicht noch einmal schweigen!
Heute stehen wir fest an der Seite der Armenier in Artsakh/Bergkarabach.
Vielen Dank!
Generalsekretär Matthias Boehning in seiner Rede vor dem Bundeskanzleramt in Berlin anlässlich der Mahnwache am 24. September 2023.