Zwangshidschab und Zwangsreligion
Die mittlerweile in den USA lebende Iranerin Mary Mohammadi hat in ihrem Heimatland wegen ihres christlichen Glaubens im Gefängnis gesessen. Am 12. Januar 2020 wurde sie nach der Teilnahme an einer öffentlichen Demonstration in Teheran von Sicherheitskräften erneut festgenommen und ins Qarchak-Gefängnis gebracht. In ihrer Anhörung wurde sie zu 3 Monaten plus 1 Tag Haft und 10 Peitschenhieben verurteilt.
Ein Kommentar von Mary Mohammadi, 31. Mai 2024
Der Iran hat sich unter der Besatzung des Regimes der Islamischen Republik in ein großes Gefängnis für das iranische Volk verwandelt. Soziale, politische und wirtschaftliche Einschränkungen gehören zu den Dingen, unter denen die Menschen im Iran leiden. Allerdings unterliegen nicht alle Gruppen demselben Druck. Unter ihnen gibt es Gruppen, die aufgrund bestimmter Zugehörigkeiten, die von der Islamischen Republik als unerwünscht angesehen werden, zusätzlicher Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt sind.
Wer ist ein christlicher Konvertit?
Im Iran beziehen sich christliche Konvertiten auf alle iranischen Christen, die weder Armenier, noch Assyrer oder Chaldäer sind. Damit ist die Mehrheit der Christen im Iran gemeint. Christliche Konvertiten können einen islamischen oder einen nicht-islamischen Hintergrund haben. Christliche Konvertiten gelten als eine der nicht anerkannten religiösen Minderheiten im Iran. Selbst Christen, die vor Generationen konvertiert sind und selbst in christliche Familien hineingeboren wurden, werden von der Islamischen Republik nicht als Christen anerkannt, wenn sie nicht der armenischen, assyrischen oder chaldäischen Volksgruppe angehören, und ihnen werden ihre Bürgerrechte entzogen. Sie werden nicht nur ihrer sozialen Rechte beraubt, sondern sind auch mit gewalttätigen, sicherheitsrelevanten und rechtlichen Auseinandersetzungen konfrontiert. Seit den Anfängen der Gründung der Islamischen Republik haben verschiedene Formen der Verfolgung das Konzept des „Lebens“ aus ihrer alltäglichen Existenz ausgelöscht.
Um die Komplexität der gelebten Diskriminierung in der iranischen Gesellschaft besser zu verstehen, haben wir bisher einen kurzen Blick auf die iranische christliche Gemeinschaft geworfen, einen der am stärksten verfolgten Teile der iranischen Gesellschaft. Wenn wir nun unseren Fokus weiter eingrenzen und einen Blick in die Gemeinschaft christlicher Konvertiten im Iran werfen, wird deutlich, dass christliche Frauen stärker verfolgt werden als christliche Männer. Die seit mehr als vier Jahrzehnten geltende Auferlegung des „islamischen Zwangshidschabs für konvertierte christliche Frauen“ im Iran, die oft mit einem islamischen Hintergrund dem Islam abgeschworen haben, ist nur ein Beispiel für ihr noch schlimmeres Leid. Die Realität ist, dass die iranische Gesellschaft keine islamische, sondern eine vielfältige Gesellschaft ist und dass islamische Gesetze nach keinem Standard oder keiner Logik gegenüber „allen“ Bürgern erlassen und durchgesetzt werden können. Die Islamische Republik hat jedoch immer versucht, ein falsches Bild der iranischen Gesellschaft als einer muslimischen Gesellschaft zu vermitteln und leicht den Hidschab alle Frauen aufgezwungen.
Nicht nur christliche Konvertiten sind massiver Diskriminierung im Iran ausgesetzt. Auch Bahai, Sufis und die kurdischen und arabischen ethnischen Gruppen sind Opfer systematischer staatlicher Willkür.
Repräsentanten der Islamischen Republik fokussieren auf Durchsetzung des Hidschabs bei nichtmuslimischen Frauen
Neben der Existenz islamischer Gesetze in der Islamischen Republik, die im Widerspruch zu den Rechten der Frauen und Christen stehen, sind Äußerungen hochrangiger Vertreter der Islamischen Republik ein weiterer Beweis für die ideologische Entschlossenheit der Staatsdiener des Regimes, nichtmuslimische Frauen zu zwingen den Zwangshidschab zu tragen. Beispielsweise erklärte der verstorbene Präsident Ebrahim Raisi in einem Fernsehinterview am 7. Mai 2024, dass auch diejenigen, die nicht an den Hidschab glauben, ihn befolgen müssen, weil er Gesetz sei. „Gesetz“, das ein Instrument zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Gleichheit unter den Bürgern und zur Gewährleistung ihrer Rechte gegen Unterdrückung und Tyrannei sein sollte, ist in den Händen des Regimes zu einem Instrument geworden, um Frauen zu bedrohen, die den Zwangshidschab nicht ertragen wollen. In ähnlicher Weise erklärte Mohammad-Javad Montazeri, der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofs, am 24. April 2024: „In einer islamischen Gesellschaft, insbesondere in der Islamischen Republik Iran, wird erwartet, dass auch diejenigen, die keine Muslime sind oder sich nicht ernsthaft an die islamischen Regeln halten, sich an das Gesetz halten, weil das Gesetz für alle im Land verbindlich ist.“
Wir sehen, dass nicht nur die Gesetze, sondern auch öffentliche Äußerungen hochrangiger Funktionäre des Regimes offen und stolz die schwere Verletzung des Rechts auf Freiheit, der Rechte der Frauen und der Rechte religiöser Minderheiten betonen, ohne sich vor der Verurteilung durch Menschenrechtsorganisationen zu fürchten. Denn solange Regierungen nicht alle ihre Kapazitäten nutzen und konkrete Schritte unternehmen, um Diktaturen wie dieses Regime zu schwächen, wird es keine ernsthaften und realen Konsequenzen erleiden und die Menschen im Iran, insbesondere Frauen und Minderheiten, werden allein und mit leeren Händen gegen schwer bewaffnete Unterdrückungskräfte kämpfen müssen.
Warum ist der Druck auf christliche konvertierte Frauen größer als auf christliche konvertierte Männer?
Das Regime betrachtet christliche Konvertiten nicht als Teil der Gesellschaft, sondern als Wunde im sogenannten Bild des islamischen Iran, was deren Leben auf verschiedene Weise bitter und unerträglich macht. Frauen wurden schon immer als Werkzeuge betrachtet, um die frauenfeindlichen Ziele und Richtlinien patriarchaler Systeme wie der Islamischen Republik voranzutreiben. Das Aufzwingen des islamischen Kopftuchs für konvertierte christliche Frauen ist so, als würde man sie dazu zwingen, ihrer eigenen Religion abzuschwören und so zu tun, als ob sie islamische Überzeugungen hätten, da sie keinen Grund oder entsprechenden Glauben haben, die islamische Kleiderordnung zu akzeptieren. Dies ist nicht nur ein Zwangshidschab, sondern auch eine Zwangsreligion.
Viele christliche Frauen im Iran wurden auf der Straße von der Moralpolizei und anderen Behörden festgenommen, geschlagen und in Gefängnissen und Sicherheitshaftanstalten gezwungen, den Tschador zu tragen. Christlich konvertierte Frauen haben aufgrund ihres tief empfundenen Engagements für das Christentum die „Privilegien“ einer Schiitin mutig abgelehnt und sich dafür entschieden, die Strafen und Verfolgungen für die Hinwendung zum Christentum im Schatten des Regimes der Islamischen Republik zu ertragen. Sie wollen nach ihren tiefsten Überzeugungen leben, essen, sich kleiden und sprechen. Obwohl sie aufgrund ihres christlichen Glaubens ihre Privilegien und Staatsbürgerrechte verloren haben, müssen sie leider immer noch den islamischen Lebensstil aufrechterhalten, der ihnen durch die Gesetze des Regimes und den Zwang der Behörden auferlegt wird. Da sie „Frauen“ sind, müssen ihre Körper und ihre Kleiderordnung als „Werkzeuge und Schaufenster“ dienen, um die islamischen und politischen Ansichten der Islamischen Republik widerzuspiegeln. Wenn sie akzeptieren, das gewünschte Aushängeschild des Regimes zu sein, haben sie das Gefühl, ihren christlichen Glauben aufgegeben zu haben. Und wenn sie sich weigern, drohen ihnen jedes Mal, wenn sie ihre Häuser verlassen, Verhaftung und Tod durch Polizei und Sicherheitskräfte.
Warum ist der Druck auf konvertierte christliche Frauen trotz des Zwangskopftuchs für alle Frauen größer als auf andere Frauen?
Unabhängig davon, ob christliche Konvertiten den islamischen Zwangshidschab akzeptieren oder ablehnen, müssen sie die Kosten dafür tragen, dass sie zum Christentum konvertiert sind. Das bedeutet, dass sie zu einer nicht anerkannten religiösen Minderheiten gehören und alles verweigert bekommen, einschließlich des Rechts auf Arbeit, Bildung und so weiter. Mit oder ohne Hidschab müssen sie jeden Tag ihr Kreuz tragen. Ein christlicher Konvertit im Iran zu sein ist von Natur aus mit Härten verbunden, aber die Situation einer weiblichen christlichen Konvertitin lässt sich schwer mit Worten beschreiben.
Über die Autorin
Die mittlerweile in den USA lebende Iranerin Mary Mohammadi hat in ihrem Heimatland wegen ihres christlichen Glaubens im Gefängnis gesessen.
Jetzt informiert sie aus dem Exil über die Lage von Frauenrechten und die Situation von christlichen Konvertiten und weiteren benachteiligten Minderheiten im Iran.
Für ihren „herausragenden Mut“ und ihre „außergewöhnliche Selbstlosigkeit“ ist sie am 22. April 2023 mit dem Stephanuspreis für verfolgte Christen im Rahmen eines Festaktes am Rande der IGFM-Jahresversammlung in Bonn ausgezeichnet worden.