
Bild: IRQO, Iranian Queer Organization
Schicksale Homosexueller im Iran
Im Jahr 2014 verkündete das Wissenschaftszentrum des iranischen Parlaments, dass 17,5 % der Oberstufenschüler homosexuell seien. Man sollte anmerken, dass man diese Zahl veröffentlichte, um die „Zeit-Ehe“ als möglichen Weg zur Beendigung der „moralischen Unehrenhaftigkeit“ zu benennen. Das Gallup Institut teilte zudem im Februar 2013 mit, dass der Anteil der LGBTs an der Bevölkerung zwischen 1,7 und 10 % in den verschiedenen Staaten Amerikas liege. [Anmerkung der IGFM: LGBT ist in der englischen Sprache eine gängige Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender]. Man nimmt an, dass ca. 3,5 % der amerikanischen Bevölkerung Homosexuelle sind. Betrachtet man den Iran mit 77 Millionen Einwohnern, so könnten 3,5 bis 17,5% der Bevölkerung Homosexuelle sein. Dies bedeutet, dass 2,7 bis 13 Millionen Menschen kein Recht auf Leben besitzen!
Angesichts dieser Tatsache wollen wir den psychischen Gesundheitszustand der iranischen Homosexuellen betrachten.
Ali, ein 32-Jähriger schwuler Iraner, erinnert sich genau daran, wie er als 15-Jähriger zum Psychiater gebracht wurde. Dort bekam er Medikamente verschrieben, die eigentlich zur Behandlung von Schizophrenie eingesetzt werden. Zu seinem Vater hatte Ali eine schlechte Beziehung, immer wurde er von ihm gedemütigt und schikaniert. Trotz seiner Leidensgeschichte hat Ali die Mittelstufe geschafft und hofft darauf, seine schulische Ausbildung weiter fortsetzen zu können und unabhängig zu werden.
Hootan, 40 Jahre, wurde an der Universität zum Medizinstudium zugelassen. Er entschied sich jedoch gegen die Aufnahme seines Studiums, da er sich den Komplikationen bewusst war, die ihn dort als Homosexuellen erwarten würden. Seine zahlreichen Psychiater, bei denen er in Behandlung war, konnten ihm auch nicht helfen, sich als homosexuelles Individuum zu verstehen und seine inneren Konflikte zu lösen. Hootan leidet an Einsamkeit und Depressionen und schaut deshalb sehr pessimistisch in die Zukunft. Mohammadreza, 26 Jahre, beging letzten Endes Selbstmord, indem er Gift einnahm. Dieser Tat gingen Jahre der Gewalt und der Beleidigungen durch seinen Vater voraus, der die sexuelle Neigung seines Sohnes niemals akzeptieren konnte.
Obwohl Homosexualität keine Krankheit ist, kann der soziale Druck, der auf Homosexuellen lastet, krank machen. Wir wollen nun auf verschiedene Ursachen dieses Drucks eingehen.
Innere Konflikte und verinnerlichte Homophobie
Im Iran werden viele abwertenden Bemerkungen gegenüber Homosexuellen gemacht, die darauf abzielen, sich über die Schwulen- und Lesbengemeinschaft lustig zu machen. Vor allem Kinder sind für diese Bemerkungen sehr anfällig, denn sie neigen dazu, nach Anerkennung von anderen zu streben. Kommen sie immer wieder mit diesen Ausdrücken in Kontakt, so kann es passieren, dass sie die negative Sicht der Gesellschaft auf Homosexuelle verinnerlichen und sich sogar gegenüber diesen Personen feindselig verhalten. Falls die Kinder selbst homosexuell sind, so haben sie Angst davor, sich als normales und gesundes Wesen zu akzeptieren. Folglich haben Homosexuelle, die in einem Staat wie dem Iran aufwachsen, große psychische Probleme und müssen oftmals mit inneren Konflikten kämpfen, wenn sie erkennen, dass sie schwul, lesbisch oder transsexuell sind. Außerdem leiden sie an der im Iran existierenden Homophobie, die der Gesellschaft eingetrichtert wurde. Auf der einen Seite wollen die „Geächteten“ eine liebevolle Beziehung mit einem gleichgeschlechtlichen Partner führen, auf der anderen Seite kann es dazu kommen, dass sie sich aufgrund der indoktrinierten Homophobie und negativen Sicht auf Homosexualität zu einer Person entwickeln, die nicht fähig ist, eine intime Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen.
Feindliche Beziehung zu Eltern und Umfeld
Eltern gründen ihre Erwartungen nicht auf die Fähigkeiten ihrer Kinder, sondern auf die eigenen Hoffnungen und Träume. Sie erwarten von ihrem Sprössling, dass dieser sich nach dem Muster verhält, wie sie sich das im Ideal vorstellen. Wenn sich Kinder anders verhalten, als es die Wünsche der Eltern vorsehen, so werden sich die Eltern langsam von ihren Kindern entfernen und ihre Abneigung zeigen. Homosexuelle Kinder weisen möglicherweise Verhaltensmuster auf, die im großen Unterschied zu den von der Gesellschaft festgelegten Geschlechterrollen stehen. Nicht nur Außenstehende, sondern auch die Eltern werden diese Personen diskriminieren und ausgrenzen. Konfrontiert mit der Feindseligkeit des gesamten Umfelds werden diese Kinder oder Jugendliche sich immer fragen, was an ihnen denn falsch ist, warum sie anders sind, und genau das schwächt das Selbstvertrauen und beeinflusst ihr Selbstbild negativ.
Schuldgefühle
Der Iran ist ein religiöses Land und Kinder werden schon in sehr jungen Jahren zu Hause und in der Schule mit religiösen Werten und Lehren konfrontiert. Muslimische Geistliche glauben, dass Homosexualität eine unverzeihliche Sünde ist, die mit dem Tod bestraft werden muss. Homosexuelle als Opfer dieser Indoktrination werden sich entweder von der Religion abwenden, oder die Kleriker als ignorant ansehen und die religiösen Texte neuinterpretieren. Darüber hinaus stellen sie ihre eigene Existenz in Frage und weisen starke Schuldgefühle auf, da sie nicht den religiösen Vorstellungen entsprechen.
Die immerwährende Angst vor der Regierung
Angesichts der Gesetze gegen Homosexualität leben Homosexuelle in ständiger Angst, denn sie wissen nicht, was ihnen als nächstes von Agenten der Regierung angetan wird. Diese chronische Angst und Belastung hat bei vielen zu ernsten psychischen Schäden geführt. Sie berichten von Depressionen und quälenden Nächten, in denen sie an Schlaflosigkeit leiden. Wenn sie dann endlich einschlafen konnten, werden sie von schrecklichen Albträumen heimgesucht.
Unwissende Fachärzte
Obwohl es schon seit vielen Jahre so ist, dass Homosexualität international nicht mehr als Krankheit gilt, wird sie trotzdem von vielen Psychologen und Psychiatern im Iran als solche angesehen und dementsprechend auch so „behandelt“. Diese „Spezialisten“ verschreiben ihren Patienten Medikamente gegen Schizophrenie oder auch Schocktherapien. Dieses Vorgehen führt zu irreversiblen psychischen und physischen Schäden der Betroffenen. In einem Fall riet der Psychiater seinem Klienten, er solle doch an Gott glauben, damit er geheilt werden kann. Und selbst aufgeklärte und gut informierte Ärzte, die wissen, wie sie ihren Patienten helfen könnten, tun dies oft nicht, da sie Strafen von Seiten der Regierung fürchten.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Homosexuelle im Iran also neben ihren inneren Konflikten an der feindseligen Haltung ihrer Mitmenschen leiden. Sie fürchten sich vor Übergriffen der staatlichen Gewalt und können auf keine professionelle Hilfe hoffen. Als Folge daraus leiden sie oft an Depressionen und Verfolgungswahn, Motivationslosigkeit und sind selbstmordgefährdet. Auch entwickeln sie psychosomatische Funktionsstörungen wie Herzprobleme.
Die Weiterentwicklung eines Landes ist abhängig von der psychischen Verfassung seiner Bevölkerung. Im Iran leiden nicht nur Heterosexuelle an den ohnehin wachsenden politischen und wirtschaftlichen Problemen, sondern vor allem eben auch Homosexuelle, die mit einer noch größeren Ausgrenzung und Feindseligkeit konfrontiert sind. Wenn eine Regierung nichts für die Verbesserung der gesellschaftlichen Verfassung unternimmt: was muss dann die Gesellschaft tun, um diese eigenständig zu verbessern?