Unterwerfungs-Vertrag für syrische Christen
Die Kopfsteuer („Dschizya“) für Andersgläubige ist zurück. Der Islamische Staat (IS) stellt sich in seiner Propaganda in die direkte Herrschaftsnachfolge von Mohammed und den „rechtgeleiteten“ Kalifen. Um das zu unterstreichen hat der IS in seinem Herrschaftsgebiet zahlreiche Regelungen aus der Zeit Mohammeds eingeführt. Wie damals schließt jetzt der IS „Schutzverträge“ mit unterworfenen Christen und besiegelt so die eigene Herrschaft.
Zum Hintergrund: Muslime eroberten in den ersten Jahrzehnten ihrer Machtetablierung weite Gebiete rund um das Kerngebiet Medina. Ihr fiskalischer und vertraglicher Umgang mit der Eroberungssituation war das Ergebnis ihrer finanziellen und sicherheitspolitischen Bedürfnisse: Als zahlenmäßige Minderheit handelten sie mit ihren neuen Untertanen Abkommen aus. Das Regiment der Muslime war im Vergleich zu vorherigen Machthabern gelegentlich eine Verbesserung, weshalb sich manch eine der um Medina liegenden Oasen mehr oder weniger freiwillig den Muslimen unterwarf. Andere wurden erobert und unterworfen. Die Angehörigen der sogenannten Buchreligionen („Dhimmis/Ahl al-Kitab“) sollten fortan ungefähr 10-20% Abgaben an die muslimischen Herrscher leisten – je nach Abkommen in Naturalien und/oder Geld.
Dies galt aber nicht für alle: Diejenigen, die keiner anerkannten Buchreligion angehörten, mussten sich entweder zum Islam bekehren oder wurden vertrieben, versklavt oder getötet. Zudem musste die Kopfsteuer nur von Nichtmuslimen gezahlt werden. Sicherlich eine große Versuchung für viele, sich dem Islam zuzuwenden. Als erstes Abkommen dieser Art ist das bekannt, das Mohammed mit der Oase Khaibar im Jahr 628 schloss. Und als exemplarisch gilt der sogenannte „Shurut“, der Vertrag des Umar. Bei letzterem Vertrag ist die Authentizität nicht geklärt, nichtsdestotrotz gilt er als Essenz der Verträge Mohammeds und seiner „vier rechtgeleiteten Nachfolger“ – zu denen Umar gehörte – mit Nichtmuslimen.
Der IS stellt in seiner Propaganda den „Vertragsabschluss“ mit Christen in Syrien dar. In der Bildunterzeile steht: Verkündung des Urteils von Gott für die Christen der Stadt al-Qaritin. Ganz rechts im Bild steht einmal in arabischer Kalligraphie und einmal (ganz klein) in lateinischen Buchstaben „Dimashq“, auf Deutsch: Damaskus.
Andersartige historische Verträge werden von Islamisten wenig beachtet
Wenig bekannt und zitiert werden die Abkommen Mohammeds und der vier Kalifen, die durch fehlende Einschränkungen auffallen: Beispielsweise das Abkommen mit den Mardaiten, das bis in das 9. Jahrhundert galt. Es behandelt dieses wehrhafte Volk fast völlig gleichberechtigt: Sie kämpften an der Seite der Muslime zu ihrer Verteidigung und durften dafür – äußerst ungewöhnlich und später undenkbar – sogar Anteil an der Beute haben. Die sonst üblichen Restriktionen entfielen völlig in dem Abkommen mit diesem Stamm. Hier wird argumentiert, dass die Mardaiten mit ihrem Kampfeinsatz die islamische Gemeinschaft verteidigten und schützten. Damit waren sie weitgehend gleichberechtigt in den jungen Staat integrierbar.
Wenn heute über Demokratie und Partizipation von Minderheiten auf Basis der Scharia debattiert wird, wird die traditionelle Kopfsteuer und bedingte Integration oftmals anhand dieser Argumentation aufgelöst: Durch das Leisten des Militärdienstes in einer islamischen Nation entfallen Sonderkonditionen und Beschränkungen der Integration, da mit der Verteidigung der islamischen Umma („Gemeinschaft“) die gleichberechtigte Integration etablierbar ist.
Ganz anders der Shurut, der Vertrag des „rechtgeleiteten Kalifen“ Umar: er ist gekennzeichnet durch Vorschriften, die Islamwissenschaftler Albrecht Noth quasi als Ergebnis der zahlenmäßigen Minderheitenposition der Eroberer wertet, die sich über die folgenden Jahrhunderte aber restriktiv und diskriminierend auswirkten und bis heute auswirken. Denn bis heute wird dieser Vertrag explizit oder seine Inhalte implizit immer wieder thematisiert. Nicht durch den Islamischen Staat (IS), sondern beispielsweise und unter anderem auch in den 90er Jahren von den ägyptischen Muslimbrüdern. Hier spalteten sich die verschiedenen Gruppierungen, die teils einen unterschiedlich liberalen Umgang mit Minderheiten in einem potentiellen islamischen Staat thematisierten.
In der nachfolgenden Übersetzung sind die Zitate aus dem Koran in der deutschen Übersetzung von islam.de wiedergegeben. Anmerkungen der IGFM stehen in eckigen Klammern.
Islamischer Staat
Amt für Justiz und Beschwerden
Nummer: 60.
Datum:
Einverstanden:
Im Namen Allahs, des Gnädigen, Barmherzigen [Standardüberschrift arabischer Dokumente]
Wortlaut des Schutzvertrages [„Dhimma“-Vertrages]
(Alles) Lob gehört Allah, der Islam sei geheiligt in seinem Sieg und unwürdig ist es, an seiner Überwindung teilzunehmen, und in der Offenbarung seht:
Sure 9, 29: Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah und nicht an den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Allah und Sein Gesandter verboten haben, und nicht die Religion der Wahrheit befolgen [Anmerkung der IGFM: gemeint ist der Islam] – von denjenigen, denen die Schrift gegeben wurde [Anmerkung der IGFM: gemeint sind Juden, Christen und Zoroastrier] –, bis sie den Tribut aus der Hand entrichten und gefügig sind!
Und wir bezeugen, dass es nur einen einzigen Gott gibt und seine Diener werden siegen und die größte Ehre gebührt seinen Soldaten und er wird die anderen Parteien [und Religionen alleine besiegen, es gibt keinen Gott außer Allah und wir beten nur ihn an, sind die Erlöser der [anderen] Religionen in seinem Angriff der Ungläubigen.
Und wir sind Zeuge, dass Mohammed der Diener und Gesandte Gottes ist, den Gott herabgesandt hat und Friede dem Gelächter in der Schlacht, und wir bezeugen, dass der Sohn Maryams lebt [Anmerkung der IGFM: gemeint ist Jesus; Arabisch: Isa]. Der Diener Gottes und sein Gesandter und er sagte folgendes:
Sure 4, 172: Al-Masih [Anmerkung der IGFM: „der Messias“] wird es nicht verschmähen, ein Diener Allahs zu sein, auch nicht die (Allah) nahegestellten Engel. Wer es aber verschmäht, Ihm zu dienen, und sich hochmütig verhält –, so wird Er sie alle zu Sich versammeln.
(Alles) Lob gehört Allah, der Macht des Islam und Gnade seiner Stärkung und wir müssen ihm angehören bis zum Tag des Jüngsten Gerichts:
Und dies ist, was Abd Allah Abu Bakr al-Bagdadi – Befehlshaber der Gläubigen – den Anhängern des christlichen Glaubens in Damaskus gewährte – er schloss der Stadt al-Qaritin den Aman [Schutz-] Vertrag: Er gewährte ihnen Schutz für sie selbst und ihr Vermögen – und er übte keinen Zwang bezüglich ihrer Religion aus und keiner von ihnen wurde benachteiligt.
Er stellt folgende Bedingungen:
- Dass sie in ihren Städten und in deren Umgebung keine Klöster, Kirchen oder Mönchsklausen bauen.
- Dass sie das Kreuz oder ihre Bücher nicht auf den Straßen oder Märkten der Muslime zeigen, und sie keinen Verstärker gebrauchen, während sie ihre Gebete abhalten und so auch [nicht] bei ihren Gottesdiensten.
- Dass sie Muslime nicht das Rezitieren ihrer Bücher hören lassen oder den Klang der Kirchenglocken, und diese [haben] sie in ihren Kirchen [zu] läuten.
- Dass sie keinerlei feindselige Handlungen gegen den Islamischen Staat ausführen, wie etwa Spionen und gesuchten Personen Zuflucht zu gewähren. Wenn sie von einem Plan gegen Muslime erfahren, müssen sie dies melden.
- Dass sie sich verpflichten, keine rituellen Handlungen in der Öffentlichkeit auszuführen.
- Dass sie den Islam und die Muslime respektieren und ihre Religion in keiner Weise schmähen/verunglimpfen.
- [Artikel fehlt in dem Vertrag, die Zählung läuft direkt weiter mit 8.]
- Jeder männliche erwachsene Christ muss die Dschizya [Kopfsteuer/Tribut] zahlen, diese beträgt vier Gold-Dinar (und unter dem Dinar ist der Gold-Dinar zu verstehen, der in den Transaktionen gebraucht wurde, ein Festbetrag, und er wiegt einen Mithqal [traditionelle Gewichtseinheit] aus reinem Gold oder dessen Gegenwert = 4,35 Gramm Gold [rund 130 bis 140 Euro]) für die Angehörigen der Reichen, und die Hälfte davon für die Angehörigen der Mittelschicht und wiederum die Hälfte davon für die Armen; sie dürfen nichts von ihrer Situation verbergen und müssen die Dschizya in zwei Zahlungen pro Jahr entrichten.
- Dass sie keine Waffen besitzen.
- Dass sie mit Muslimen oder auf deren Märkten keinen Handel mit Schweinen oder Wein treiben und in der Öffentlichkeit keinen Wein trinken.
- Dass ihnen eigene Friedhöfe zustehen, wie es Tradition ist.
- Dass sie das einhalten, was der Islamische Staat als Richtlinien für die Schicklichkeit der Kleidung auferlegt, dies gilt sowohl für den Kauf von Kleidung als auch für den Verkauf und dergleichen.
Verpflichten sie sich, diese Bedingungen einzuhalten so sind ihnen die Nähe Gottes und der Schutz Mohammeds sicher, der Friede sei mit ihnen, ihren Ländereien und ihrem Besitz. Die Nähe Gottes, der Schutz Mohammeds und der Friede seien mit ihnen, wenn sie sich den in diesem Vertrag festgehaltenen Bedingungen verpflichten. [Anmerkung der IGFM: Diese sich inhaltlich wiederholenden Sätze stehen so im Original.]
Sollten Sie den Bedingungen dieses Vertrags zuwiderhandeln, so steht ihnen keinerlei Schutz zu, der islamische Staat wird mit ihnen verfahren wie mit den Leuten des Krieges und des Widerstands.
Datum: 15.11.1426 H[idschra; islamische Zeitrechnung]
30.8.2015 M[asih; christlich, gregorianische Zeitrechnung]
Vertragsschreiber´
Stempel des Islamischen Staates
Wasserzeichen: [Amt für] Justiz und Beschwerden