Kommentar: Chávez ist tot – aber der Chavismus lebt noch

Martin Lessenthin zieht eine aus Sicht der Menschenrechte desaströse Bilanz der Herrschaft des venezolanischen Präsidenten.

Fuldaer Zeitung

07. März 2013

Nach dem Tod des venezolanischen Autokraten Hugo Chávez blickt die Welt gebannt nach Caracas. Nach der Verfassung muss innerhalb von 30 Tagen ein neuer Präsident gewählt werden. Für mehr als ein Jahrzehnt hat der nach langem Krebsleiden verstorbene Chávez mittels Korruption, Einschüchterung, Manipulation und brutaler Taktiken über das venezolanische Volk geherrscht. Sein Tod markiert das Ende seiner autokratischen Herrschaft, aber der Weg zur Demokratie Ist für das venezolanische Volk noch sehr unsicher.

Denn der Comandante Hugo Chávez hat zu Lebzeiten die Weichen gestellt, dass das von ihm geschaffene Herrschaftssystem der „Bolivarischen Republik Venezuela“ nach seinem Tod weiterbesteht. Aus Sicht der Menschenrechte hinterlässt der Präsident Chávez eine desaströse Bilanz. Entgegen seiner Selbstdarstellung als Befreier, als zweiter Simon Bolivar, hat er Hunderte unschuldiger Menschen aus politischen Gründen inhaftieren lassen, die Justiz gleichgeschaltet, die katholische Kirche fanatisch bekämpft und regimekritische Medien systematisch zum Schweigen gebracht.

Chávez hat den außenpolitischen Schulterschluss mit den Diktatoren und Despoten dieser Welt gesucht – Muammar al-Gaddafi, Mahmud Ahmadinedschad, Baschar al-Assad und besonders Fidel Castro. Chávez‘ Unterstützung für terroristische Gruppen – zum Beispiel in Kolumbien – stellte eine furchtbare Bedrohung für das Leben vieler unschuldiger Menschen dar.

Bereits nach seinem gescheiterten Militärputsch vom 4. Februar 1992 war klar, dass Chávez die venezolanische Gesellschaft spalten wollte – in Gut und Böse, sozialistisch und nicht sozialistisch, westlich und antiwestlich und letztendlich in seine Unterstützer und seine Gegner. Er baute einen Personenkult um sich herum auf. im Rahmen dessen er sich seinen Anhängern als eine Art sozialistischer Messias präsentierte und die staatliche Propagandamaschinerie zur eigenen Verherrlichung nutzte.

Der Chavismus besteht weiter: Chávez‘ Nachfolger soll nach dessen Willen fortsetzen, was der Comandante angefangen hat. Gemäß Chávez‘ Vorstellung soll es weiterhin keine Wahlen geben, bei denen alle Beteiligten eine faire Chance haben. Das venezolanische Volk muss aber die Gelegenheit nutzen, sich vom Regime des Verstorbenen zu lösen und Demokratie und Menschenrechte für sich wiederzuerlangen. Das kann nur durch einen wahrhaft demokratischen Prozess mit freien, fairen und transparenten Wahlen gelingen. Im Wahlkampf und vor den Wahllokalen darf es keine Einschüchterungen durch Rollkommandos geben, die Presse muss frei berichten können, un

d Versammlungen der Opposition müssen vor Tätlichkelten durch militante Chavisten geschützt werden.

Und vor den Wahlen muss Chávez‘ Wunschnachfolger – der amtierende Präsident Nicolas Maduro – zeigen, dass er den despotischen Weg nicht weitergehen will. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) forderte Maduro auf, den Tod Chávez‘ für einen sauberen Bruch mit der Vergangenheit zu nutzen und sofort demokratische und rechtsstaatliche Reformen einzuteilen. Als ersten Schritt muss die Regierung alle politischen Gefangenen in Venezuela freilassen, und sie sowie alle Oppositionellen und Regimekritiker, die unter Hausarrest stehen oder denen der Prozess gemacht wird, von allen politisch motivierten Vorwürfen freisprechen.

Die Bürger von Venezuela sind nun vor die Wahl gestellt, entweder weiterzumachen wie bisher, einstweilen unter Chávez‘ designiertem Nachfolger und derzeitigem amtierenden Präsidenten Nicholas Maduro, oder einen Neuanfang als demokratischer Rechtsstaat zu wagen. Allerdings sind die Voraussetzungen für beide Seiten bei den Wahlen nicht gleich – Chávez hat dafür gesorgt, dass seine Partei jeden nur erdenklichen Vorteil hat. Gleichzeitig besteht zudem der Unterdrückungs- und Einschüchterungsapparat, dessen sich Chávez bei der letzten Wahl im Oktober 2012 bedient hat, weiter fort.

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