Was ist Apostasie?

Das Thema Apostasie gehört zur Glaubens- und Überzeugungsfreiheit und ist somit Teil der Menschenrechtsdiskussion. Seit einigen Jahren machen immer wieder spektakuläre Fälle Schlagzeilen und verdeutlichen die Aktualität des Themas.

von Petra Gisch

Foto von Iahsan, Quelle: Wikimedia Commons

Auch wenn es Unterschiede in der Beurteilung der Apostasie und ihrer Folgen gibt, so wird diese Meinung auch heute noch von Autoren aus Ägypten, Saudi-Arabien oder anderen Ländern unkritisch wiedergegeben und geteilt. Dies führt dazu, dass sich heutzutage radikale Muslime auf Rechtsgelehrte bzw. muslimische Abhandlungen berufen und ohne schlechtes Gewissen zur Selbstjustiz greifen, um einen vermeintlichen Apostaten zu bestrafen. Man denke dabei beispielsweise an die Ermordung des holländischen Filmemachers Theo van Gogh sowie an seine befreundete muslimisch-somalische Politikerin Ayaan Hirsi Ali, die seit geraumer Zeit in Holland um ihr Leben fürchtet.

Wer ist ein Apostat im Islam?

Der in Indien geborene britische Schriftsteller Salman Rushdie wurde wegen seines Romans „Die Satanischen Verse“ (1988) vom iranischen Religionsführer Ayatollah Khomeini 1989 der Gotteslästerung und dem Abfall vom Islam beschuldigt und mit dem Tode bedroht. Bis zur Rücknahme der Todesdrohung 1998 durch den iranischen Präsidenten Chatami musste Rushdie in in ständig wechselnden Verstecken leben. Foto: Mariusz Kubik

Der in Indien geborene britische Schriftsteller Salman Rushdie wurde wegen seines Romans „Die Satanischen Verse“ (1988) vom iranischen Religionsführer Ayatollah Khomeini 1989 der Gotteslästerung und dem Abfall vom Islam beschuldigt und mit dem Tode bedroht. Bis zur Rücknahme der Todesdrohung 1998 durch den iranischen Präsidenten Chatami musste Rushdie in in ständig wechselnden Verstecken leben. Foto: Mariusz Kubik

Das Thema Apostasie gehört zur Glaubens- und Überzeugungsfreiheit und ist somit Teil der Menschenrechtsdiskussion. Seit einigen Jahren machen immer wieder spektakuläre Fälle Schlagzeilen und verdeutlichen die Aktualität des Themas.

Mit „Apostasie“ bezeichnet man die gänzliche Ablehnung einer Religion. Die Apostasie gilt nach dem islamischen Recht als das schlimmste Verbrechen, welches ein Mensch überhaupt begehen kann, sie ist noch schändlicher als der eigentliche Unglaube und wird deshalb mit dem Tode bestraft. Allgemein gesprochen handelt es sich bei einem Apostaten (Murtadd) um eine Person, welche sich als gebürtiger oder konvertierter Muslim vom Islam abgewandt hat. Die eindeutigste Form von Glaubensabfall liegt vor, wenn ein Muslim seine Religion zugunsten einer anderen verläßt oder dem Glauben gänzlich abschwört, indem er sich öffentlich zum Atheismus bzw. Kommunismus bekennt. Die Definition der Apostasie hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt und ist nicht ein für allemal kategorisch festgelegt.

Der Tatbestand der Apostasie gilt beispielsweise als erfüllt, wenn man die Existenz Gottes, dessen Einheit bzw. Einzigartigkeit in Frage stellt oder Gotteslästerung betreibt. Dies trifft auch zu, wenn Muhammad als letzter Gesandte Gottes nicht anerkannt oder seine Vorbildfunktion für die islamische Gemeinschaft bestritten wird, indem man die Aussagen oder Handlungen des Propheten nicht mehr als verbindlich betrachtet.

Einen besonders schweren Verstoß begeht, wer sich über die sittliche Gesinnung des Gesandten Gottes abfällig äußert, ihn verspottet, verflucht oder beleidigt. Weiterhin kann die Verleugnung oder Geringschätzung aller oder eines Engels ausreichen, um als Murtadd zu gelten. Des weiteren wird als Apostasie angesehen, wenn der Koran sowie frühere göttliche Offenbarungsschriften nicht anerkannt oder verspottet werden. Vertritt man die Auffassung, dass nur ein einziges Wort oder gar ein einzelner Buchstabe im Koran verfälscht wurde, gilt man bereits als Apostat. Murtadd kann auch eine Person sein, die Taten verübt, die als Unglaube gewertet werden können. Beispiele hierfür wären die unsachgemäße Behandlung des Korans sowie dessen absichtliche Verunreinigung oder Beschmutzung. Das Gleiche gilt für die Behandlung von Rechtskompendien oder Sammlungen über das Leben und die Äußerungen des Propheten Muhammad (Hadithexemplare). Für einige Rechtsgelehrte zählt auch derjenige dazu, der ganz allgemein die Religion der Muslime beleidigt. Dies kann soweit gehen, dass selbst die künstlerische Darstellung religiöser Themen, das Betreten einer Kirche oder die Vernachlässigung des Gebets als Glaubensabfall gilt.

Wann wird ein Muslim als Abtrünniger angesehen?

Damit eine Rechtshandlung als gültig angesehen werden kann, müssen auch bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Ein entscheidendes Kriterium für die Rechtsfähigkeit oder Strafmündigkeit ist die Frage der Schuld bzw. Verantwortlichkeit, die von folgenden Faktoren maßgeblich beeinflußt wird: der Volljährigkeit bzw. der Reife, der geistigen Verfassung, der Willensfreiheit, der Intention bzw. dem Wissen einer Person. So werden Jugendliche nur von einigen Rechtsgelehrten als Apostaten bezeichnet, auch Betrunkene gelten in der Regel nicht als solche.

Vorsicht ist für Nicht-Muslime immer geboten, wenn sie sich – sei es aus Spaß – in Anwesenheit von Muslimen zum Islam bekennen. Denn einige Rechtsgelehrte sehen darin bereits die Annahme dieser Religion, und es kommt zu den hier beschriebenen Konsequenzen. Selbst beim Glaubenswechsel von Nicht-Muslimen wird dies nicht toleriert und sogar die Rückkehr zur ursprünglichen Religion gefordert. Selbst wenn ein Jugendlicher bei seiner christlichen Mutter aufgewachsen ist und sich ihrer Religion zugehörig fühlt und keinen Kontakt zum muslimischen Vater hatte, müsse er als Muslim angesehen werden. Konvertiert ein Elternteil zum Islam, gilt das Kind automatisch auch als Muslim. Dies bedeutet, dass der Jugendliche mit Erreichen der Volljährigkeit getötet, einsperrt oder durch Schläge zum Islam gezwungen werden soll.

Beweisführung und Reue

Die Beweisführung für Apostasie kann auf zwei Wegen erfolgen: Durch das Eingeständnis des Apostaten oder durch zwei Zeugenaussagen, die den Glaubensabfall bestätigen müssen. Dann erfolgt keine weitere Prüfung des genauen Sachverhalts.

Manche Gelehrte lassen dem Apostaten die Möglichkeit der Reue und legen einen Zeitrahmen von drei Tagen fest. Andere dagegen wollen den Apostaten unverzüglich töten, falls er keine unmittelbare Bußbereitschaft zeigt. Wenn ein Nicht-Muslim Gott, den Propheten, den Koran oder den Islam im allgemeinen verunglimpft oder einen Muslim missionieren möchte, wird manchmal Reue akzeptiert, teilweise aber auch die Konversion zum Islam erwartet oder im Extremfall die Tötung vorgesehen.

Folgen für den Apostaten

Die in Somalia geborene niederländische Politikerin Ayaan Hirsi Ali kritisierte 2003 islamische Schulen in den Niederlanden und die Integrationspolitik des Landes. Danach erhielt sie Morddrohungen und lebte versteckt unter Polizeischutz. Mit Theo van Gogh drehte sie 2004 den Film „Submission“, der von der Position der Frau im Islam handelt. Daraufhin wurde van Gogh von militanten Moslems bedroht und ermordet. Der Mörder hinterliess einen Brief, in dem er Hirsi Ali mit dem Tode drohte.

Die Mehrheit der Gelehrten vertritt den Standpunkt, daß die Geschäftsfähigkeit, das Eigentumsrecht, Schenkungen, Bürgschaften oder Testamentsbestimmungen ab dem Zeitpunkt der Abtrünnigkeit „unter Vorbehalt“ stehen und der Apostat keinen Zugriff mehr darauf hat. Manche sehen das Vermögen als dem Staat gehörig an und enteignen ihn. Der Abtrünnige ist nach Ansicht sämtlicher Rechtsgelehrter ebenso wie ein Mörder prinzipiell erbunfähig. Dadurch kann er weder von einem Muslim noch nach seiner Konversion von einem neuen Glaubensangehörigen erben oder jemanden beerben.

Alle Rechtsgelehrten stimmen überein, dass aus dem definitiven Abfall eines oder beider Ehegatten auch die Auflösung der Ehe erfolgt. Die Ehegatten müssen auch in dem Fall getrennt werden, wenn der Mann zur jüdischen oder christlichen Religion seiner Ehefrau gewechselt hat. Falls der Apostat nicht zum Islam zurückkehrt, verliert er nach Ansicht aller Rechtsschulen auch das Sorgerecht für seine Kinder. Diese werden seinem muslimischen Partner zugesprochen. Wann jemand als Apostat gilt, wird bestimmt, indem die Gelehrten im Konsens festlegen, was zu den unabdingbaren Glaubensgrundsätzen eines Muslims gehört. Da es im Islam keine letzte Instanz gibt, die eine Doktrin für offiziell verbindlich erklären bzw. eine getroffene Entscheidung immer wieder kritisch prüfen würde, ist es sehr schwierig, einen Konsens darüber zu finden, ab wann jemand als Muslim angesehen wird. Deshalb kann man auch nicht eindeutig beantworten, was als abtrünnige Ansicht zu gelten hat. So können fundamentalistische Muslime ihre eigene Interpretation vom wahren Islam und von Apostasie in die Tat umsetzen.

Zur Legitimierung ihrer unerbittlichen Haltung berufen sie sich zwar auf Belegstellen im Koran, doch wird dort ausschließlich von einer schweren Strafe im Jenseits gesprochen. Ferner wird argumentiert, dass der Prophet und dessen Nachfolger Apostaten töten ließen. Diese angeblichen „Beweise“ sind jedoch fraglich, da es schon in der Frühzeit des Islam zu einer Vermischung religiöser und politischer Komponenten kam. In einigen Ländern wird Apostasie nicht als private Entscheidung betrachtet, sondern als Schwächung der islamischen Gemeinschaft angesehen und daher mit Hochverrat gleichgesetzt. In Libyen kann dies zu einer Aberkennung der Staatsbürgerschaft führen.

Neben diesen starken Beeinträchtigungen des Lebens ist die wichtigste Konsequenz der Apostasie jedoch der Tod des Abtrünnigen. Er kann entweder durch ein gerichtliches Urteil oder durch Exekution auf offener Straße geschehen. Der Murtadd fällt unter das Kriegsrecht und verliert, wie ein zum Tode Verurteilter, seine Immunität und wird vogelfrei.

Da es keine Verjährung gibt, bleibt er, auch bei Flucht in ein nichtislamisches Land, Gejagter bis zu seinem Tod. Maßgeblich hierbei ist der Zeitpunkt der Apostasie, nicht der Zeitpunkt, wo er sich weigert, zu bereuen. Somit könnte er auch getötet werden, bevor er Zeit hatte zu bereuen oder zum Sachverhalt der Zeugenaussagen vor Gericht Stellung zu nehmen. Dem Mörder drohen entweder gar keine oder nur geringe strafrechtliche Konsequenzen.

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