„Werde Muslim oder stirb!“
Jetzt ist Schamo in Deutschland und in Sicherheit. Er ist Jeside aus dem Nordirak, verheiratet und hat vier Kinder. Er war 31 Jahre alt, als ihn Einheiten des Islamischen Staates (IS) am 3. August 2014 gefangen nahmen. Über seine Erlebnisse bis zu seiner erfolgreichen Flucht aus den Händen des IS am 20. März 2015 sprach er mit der IGFM im Jahr 2018.
Die Kämpfer des Islamischen Staates stellten die Christen in ihrem Herrschaftsgebiet vor die Wahl entweder zum Islam überzutreten oder eine Kopfsteuer zu zahlen oder ihre Heimat zu verlassen – oder hingerichtet zu werden. Wer nach Auffassung des IS keiner vom Islam anerkannten „göttlichen“ Religion angehört – also weder sunnitischer Muslim, Christ, Jude oder Zoroastrier ist – wird vom IS entweder gleich getötet oder lediglich vor die Wahl gestellt Muslim zu werden oder zu sterben. Schamo war klar, dass er nur lebend etwas für seine Angehörigen tun konnte. Er trat zum Schein zum Islam über und konnte sein Leben retten. Doch noch leben Familienangehörige von ihm im Irak – er möchte daher nicht, dass sein voller Name genannt wird.
Schamo stammt aus einem Dorf rund 30 km südlich der Stadt Shingal (arabisch: Sindschar) am Südrand des gleichnamigen Gebirges unweit der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak. Da es seit 45 Tagen an der Front zum Islamischen Staat völlig ruhig war und in unmittelbarer Nähe rund 1.000 kurdische Peschmerga in Bereitschaft lagen, fühlten sich die Einwohner der Region relativ sicher.
In der Nacht auf den 3. August 2014 drangen IS-Kämpfer mit etwa 60 Fahrzeugen in das von Kurden gehaltene Gebiet vor. Die an Adels Dorf stationierten Kurden und Jesiden waren zahlenmäßig weit unterlegen. Die kurdischen Verteidiger wurden entweder während der Kämpfe erschossen oder später auf der Flucht. Die wenigen bewaffneten Jesiden kämpften bis ihnen die Munition ausging, dann wurden auch sie getötet. Schließlich zogen sich auch die weiter nördlich stationierten Peschmerga zurück.
Mehr als 1.000 Jesiden wurden vom IS eingekesselt
Unterdessen versuchten die Jesiden aus den betroffenen Dörfern nach Norden in die Berge zu fliehen. Allerdings war die einzige Straße durch die fliehenden Menschen völlig verstopft – und blockiert, weil sunnitische Muslime aus der Stadt Shingal die Fluchtstraße mit Baumaschinen unpassierbar gemacht hatten. Sehr viele Jesiden wurden dadurch von IS-Kämpfern bei ihrem Versuch zu fliehen erschossen.
„Man ließ mich leben. Ich bin zum 2. Checkpoint gegangen. Dort musste ich meinen Pass abgeben. Sie sahen am Eintrag auf der zweiten Seite, dass ich Jeside bin und fragten mich, was ich denn wirklich sei. Und ich antwortete: ‚Ich war Jeside, weil meine Eltern Jesiden sind, aber ab heute bin ich kein Jeside mehr.‘“
Die hübschesten Mädchen wurden gleich am 1. Checkpoint aussortiert
Am 1. Checkpoint vor der Stadt sah er Ambulanz-Fahrzeuge, die die hübschesten Mädchen und Frauen einluden und mitnahmen. „Die gefangenen Flüchtlinge wurden in das mehrstöckige Standesamt der Stadt Shingal gebracht; die Männer im zweiten Stock, damit sie nicht fliehen konnten. Sie blieben dort drei Tage. Die Frauen und Kinder blieben im Hof, es waren etwa 2000 Frauen und Kinder. Jugendliche Mädchen sah man keine mehr. Sie waren schon am ersten Tag aussortiert worden. Viele der Mädchen hatten sich ein Kopftuch tief über den Kopf gezogen, aber es nutzte ihnen nichts. Nachts kamen IS-Leute mit Taschenlampen, weckten die Frauen und leuchteten den erschreckten Mädchen und Frauen ins Gesicht. Man sagte ihnen, dass man sie nur eine Woche mitnehmen und dann zurückbringen werde. In dieser Woche würden sie nach muslimischen Regeln eingekleidet, und sie würden beten lernen.
Bis zum dritten Tag wurden 376 Männer aus dem zweiten Stock geholt und an Ort und Stelle erschossen. Aus dem Fenster sah ich meine Mutter mit den zwei verlorenen Kindern. Es war unerträglich heiß und die Kinder weinten. Meine Mutter erkannte mich am Fenster und rief: ‚Komm runter und beruhige deine Kinder!’. Ich ging zu einem Wärter und sagte ihm, dass ich zu den Kindern will. Er sagte, dass ich ein Kafir [Arabisch: „Ungläubiger“, sehr stark abwertend] sei. Wenn ich mich bewege, würde er mich töten. Ich entgegnete, dass ich doch einer der ihren sei. Daraufhin stellte er mir Fragen zum Islam und zur Gebetsausübung. Was der Mann sich vorgestellt hatte, weiß ich nicht: Wir leben in einem islamischen Land, wir hören täglich den Muezzin rufen; wer in die Schule geht, muss den Koran lernen. Kurz vor 18 Uhr wird an jedem Tag im Fernsehen 10 Minuten aus dem Koran gelesen und dann erst um 18 Uhr beginnt das Kinderprogramm. Man kann dem Islam nicht ausweichen, und darum konnte ich alle seine Fragen beantworten. Fazit: Ich durfte die Kinder holen. Ich habe gebettelt, dass sie meine Mutter und die Kinder freilassen. Die Antwort war: ‚Das geht dich nichts mehr an. Wenn du aber ein guter Muslim geworden bist, dann wird unser Führer etwas für dich tun.’
„Ich bringe Euch das Paradies, ihr werdet zum Islam übertreten.“
Ein Mann mit blondem Bart aus Tal-Afar namens Abu Abdul Rasak hielt eine Ansprache. ‚Ihr wart in der Dunkelheit und im Feuer und ich bringe Euch das Paradies, ihr werdet zum Islam übertreten.’“
Schamo nutzte die Situation. Er bat den Führer, seine Kinder und seine Mutter gehen zu lassen, denn er sei ein guter Muslim. Und tatsächlich erlaubte er, dass seine Mutter mit den Kindern nachhause gehen durfte. Als er die Tür öffnete, schob er den Türwärter in eine Position, dass er nicht richtig sehen konnte, was vorging und verwickelte ihn in eine Diskussion über die verschiedensten Gebetsregeln, so dass er abgelenkt war. Das nutzte die Mutter aus, mit den Kindern weitere 34 Frauen hinter dem Rücken der Wärter mitzunehmen. Erst später merkten die Wärter, dass sich der Raum hinter ihnen merklich geleert hatte.
Schamo war wegen der vielen Hinrichtungen in Sorge um seinen Vater, der blind ist. Ein Bruder Adels war bei ihm geblieben, um ihn zu pflegen. wollte Kontakt zu ihm aufnehmen und suchte nach einem Mobiltelefon. Laut sprach er einen alten jesidischen Mann an, ob er Tabak für eine Zigarette haben könnte. Rauchen war längst verboten worden. Der alte Mann griff geistesgegenwärtig in eine versteckte Tasche seines Gewands und zog ein Säckchen „mit Tabak“, wie er zurückflüsterte, heraus, doch in dem Säckchen befand sich ein altes Mobiltelefon. So konnte er seinem Bruder mitteilen, dass seine Mutter auf dem Weg zu ihm sei und eine große Gruppe Frauen mitbringe, die er bitte in die Wohnung einlassen müsse. So geschah es, die Frauen und Kinder wurden versorgt, sie konnten sich waschen. In der Nacht flohen aus dem Haus der Familie 41 Personen gemeinsam mit anderen in die Berge. Später erhielt er von dort die Nachricht, dass alle in Sicherheit seien.
Schamo versuchte eine Chance zu finden, wie er seiner Familie folgen könne. Durch die Tür ging es nicht; aber gegenüber den Fenstern zum Hof gab es auch Fenster, von denen man in einen Garten blicken konnte. Er schaffte es, ein Fenster unbemerkt zu öffnen und die Fensterflügel so anzulehnen, dass das Fenster offen blieb. In der Nacht wollte er mit einem Neffen die Flucht versuchen. Doch zwei andere hatten ihn beobachtet und nutzten die Chance vor ihm. Der IS hatte aber Wachen im Garten postiert. Einer der Fliehenden wurde erschossen, der andere entkam.
Alle Jungen bis 12 Jahre wurden aussortiert
„Für diese Aktion sollten alle bestraft werden. Wir wussten, dass wir gleich sterben werden. Doch für den Abend hatten sich neue Kommandeure angekündigt und die Exekution wurde aufgeschoben. Stattdessen verband man uns die Augen und fesselte uns die Hände auf dem Rücken. Wir wurden auf die Straße geführt und hatten uns in sieben Reihen hintereinander auf die Straße zu setzen. Alle Jungen bis 12 Jahre waren aussortiert und weggebracht worden. Man sagte uns, dass man uns zum Sherfadin-Tempel [einer alten jesidischen Tempelanlage] bringen werde, wo die sterben würden, die nicht zum Islam übertreten.
Dann begann eine religiöse Zeremonie. Alle mussten wir stundenlang auf den Knien hocken. Alte Männer, die das nicht konnten und sich auf die Füße setzen oder umfielen, zog man an ihren Schnurrbärten in Position. Dann hielten sie ihre Gewehre auf uns und wir dachten, dass wir jetzt erschossen werden. Doch Abu Abdul Rasak, der mit dem blonden Bart, rief an und gab Order, dass diejenigen, die zum Islam übertreten, leben bleiben dürfen. Die IS-Männer brachten einen LKW mit Auflieger und einen Radlader in Position. Wir dachten, dass der Radlader dazu da ist, unsere Leichen in Gräbern verschwinden zu lassen.
Wände und Boden waren voller getrocknetem Blut
Wir wurden jedoch auf die beiden Fahrzeuge geladen. Am Licht der Straßenbeleuchtung konnte ich erkennen, dass wir in Richtung Tal-Afar fuhren. Plötzlich hörten wir Geräusche von Kampfflugzeugen. Der IS postierte die Wagen nahe der Hassanko-Halle, einem historischen Gebäude in der Form eines Turms aus osmanischer Zeit. Dieses Ziel würden die Flugzeuge nicht angreifen. Schließlich brachten sie uns in die Hassanko-Halle, wo wir auf mehrere Räume verteilt wurden. Wir hatten große Angst, denn Wände und Boden waren voller getrocknetem Blut. Auf dem Boden klebte das Blut, und es knisterte wie Plastikfolie. Hier war Schreckliches passiert. Zwei Tage erhielten wir nichts zu essen. Am dritten Tag erhielten wir einen Keks und eine Dose mit einem Getränk. Es hatte sich ein Führer aus Mossul angekündigt. Wir erhielten Islam-Unterricht durch einen Whali. Er sagte uns aber auch, dass wir ‚freiwillig’ zum Islam übertreten sollen. Die anderen würden nach Sherfadin gebracht und abgeschlachtet. Vier von uns sagten, dass sie Jesiden bleiben werden, alle anderen dachten, dass sie ihren Familien nur lebend helfen können und erklärten, freiwillig zum Islam zu konvertieren. Die vier wurden vor unseren Augen erschossen.
Die anwesenden IS-Leute begannen vor Glück und Verzückung zu weinen
Nach dem islamischen Glaubensbekenntnis bekamen wir zu essen und zu trinken. Die anwesenden IS-Leute begannen vor Glück und Verzückung zu weinen. ‚Jetzt seid ihr befreit und sauber wie ein weißes Stück Papier. Alles, was ihr bisher getan habt, ist gelöscht, denn nun seid ihr richtige Muslime. Ich wünschte, ich wäre wie ihr, denn nun steht Euch das Paradies offen’, sagte einer der Führer.
Nachdem wir nun zum Islam konvertiert waren, sagte man uns, dass wir duschen sollten, damit auch äußerlich alles jesidische abgewaschen werde. Es war August 2014, es war unerträglich heiß und durch den Aufenthalt im Turm rochen wir nach Tod. Man gab uns Seife und führte uns zu einem nahegelegenen See, in dem wir ausgiebig baden durften. Danach führte man uns zur Moschee.
In der Moschee unterrichtete uns ein Hodscha auf Arabisch, doch nur die wenigsten von uns verstanden Arabisch [Anmerkung der IGFM: Die Jesiden gehören zu den Kurden. Alle sprechen kurdische Dialekte, aber nicht alle sprechen Arabisch]. Zwei meldeten sich anschließend freiwillig, eine Probe des Erlernten vorzutragen, damit diejenigen, die nichts verstanden hatten, nicht bestraft werden. Der Hodscha war zufrieden und nach einer halben Stunde konnten wir aufhören. Das erste Gebet in der Moschee machte deutlich, dass kaum jemand was verstanden hatte: Jeder betete anders als der nächste. Wir mussten unsere traditionelle jesidische Kleidung ablegen und erhielten Kleidung nach IS-Regeln. Dann brachte man uns in ein sauberes Gebäude der Verkehrsbetriebe.
Da ich Arabisch kann, erhielt ich den Auftrag, als Wachmann zu arbeiten und als Dolmetscher für die islamischen Regeln. Ich wurde wie ein Lehrer eingesetzt, damit ich den neuen Muslimen zeige, wie sie sich zu verhalten haben, damit sie nicht erschossen werden. Ich glaube, dass ich dadurch vielen Menschen das Leben gerettet habe.
Der IS verlangte, dass Familien als Ganzes zum Islam übertreten sollten
Täglich gab es Besuche diverser IS-Abteilungen, die die neuen Muslime begrüßen und wissen wollten, was wir denn so bräuchten. Der sehnlichste Wunsch aller war, dass wir unsere Familien wiedersehen und mit ihnen leben könnten. Die Frauen waren, wie wir von ihnen später erfuhren, in einer dramatischen Situation: keine Hygiene seit zwei Wochen, kein Wäschewechsel, die Babys erhielten keine neuen Windeln. Auch den Frauen hatte man gesagt, dass sie konvertieren müssten. Der IS verlangte, dass Familien als Ganzes zum Islam übertreten sollten. Ansonsten würden die Frauen da bleiben, wo sie waren. Niemand würde sich um sie kümmern, bis sie tot wären.
Ich sprach mit den Frauen und versuchte sie zu überzeugen, dass sie übertreten müssen, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu retten. Und die anderen Männer taten es ebenso. Unter den Frauen waren aber auch Witwen, deren Männer erschossen waren. Wir vereinbarten untereinander, dass die ledigen Männer unter uns behaupten, dass diese Frauen ihre Frauen seien, und so übernahmen wir die Verantwortung für die Witwen.
Die Familien, die zum Islam übergetreten waren, wurden in das Dorf Kaser Amihrab, sechs km westlich von Tal-Afar gebracht, und jede Familie bekam dort eine Wohnung. Wir bekamen dreimal täglich Essen, zwei Monate lang: einen Topf mit Reis und Suppe. Nach zwei Monaten sagten wir, dass wir auch selbst kochen könnten. Jeder, der das wollte, erhielt einen grünen Schein, einen Ausweis, und auf diesen Schein hin erhielten wir Lebensmittel.
Begeisterung der IS-Leute über die „ursprüngliche Form“ des Islam
Die IS-Leute, besonders diejenigen, die neu zu ihnen stoßen, sind über die Art, wie dort der Islam in seiner ursprünglichen Form gelebt wird, so verzückt, dass für einige von ihnen der Wille, durch Märtyrertum so schnell wie möglich ins Paradies zu gelangen, wichtiger ist als das Leben. Leute, die für ihren Glauben durch ihren Tod andere mitreißen wollen, können sich bei ihrem zuständigen islamischen Geistlichen bewerben. Sie erhalten dann eine Schulung im Umgang mit Sprengstoff, einen Sprengstoffgürtel und einen Auftrag. Liegt der Auftrag im Ausland, werden sie geschult, einen Sprengstoffgürtel selbst herzustellen. Verkündet der Geistliche, dass der oder der bereit ist, sich in die Luft zu sprengen, feiern ihre Angehörigen den zukünftigen Märtyrer. Jeder möchte dem, der bald im Paradies sein wird, nahe sein. Von dem Vorhaben noch abzuspringen, ist dann nicht mehr möglich. Es gibt aber Umstände, durch die der Freiwillige verhindert ist, sein Vorhaben einzulösen. Doch es gibt ausreichend Leute, die sich um den Auftrag bewerben und die bereit sind, ihm diesen Auftrag abzukaufen. Der damalige Preis zum Abkauf eines Auftrags als Selbstmordattentäter lag bei 1.200 US Dollar.
Der IS sagte, er habe das Recht, diese Frauen zu verheiraten
Ledige Frauen und Mädchen wurden zum Dorf Qisel Qio in der Nähe des Militärflughafens von Tal-Afar gebracht. Zahlreiche Mädchen aus Kotselo waren bereits dort. Der IS sagte, er habe das Recht, diese Frauen zu verheiraten. 300 Frauen wurden nach Raqqa in Syrien gebracht. Man sagte, dass man 200 Frauen brauche, weil die IS-Soldaten Helferinnen bräuchten für die Wäsche, fürs Kochen, man sagte ihnen nicht, dass diese als Sklavinnen dienen würden. Viele Frauen, die wir in unserer Obhut gerettet glaubten, wurden durch Einzelkontrollen entdeckt. Andere wurden durch ein falsches Versprechen in eine Falle gelockt: Der Islamische Staat verbreitete das Gerücht, dass der IS viele Männer gefangen halte und möglicherweise sei ihr Mann darunter. Darum sollten sich die Frauen melden und man werde sie mit ihren Männern zusammenführen. Und tatsächlich waren viele leichtgläubig und sind freiwillig mitgegangen. Unterwegs prüften die IS-Männer, wer hübsch genug war, um verheiratet werden zu können oder wer arbeiten könnte. Die übrigen wurden tatsächlich zurückgebracht.
Nach fünf Monaten sagte man uns, dass der IS die Familien nicht dauerhaft unterhalten könne und jeder Muslim arbeiten und Verantwortung für die Familie übernehmen müsse. Man wies uns Arbeit zu als Handwerker, als Schäfer, als Straßenkehrer und andere Aufgaben. Täglich kamen dann IS-Leute und holten uns in Kolonnen zum Arbeiten ab.
Als Nord-Shingal befreit wurde, befürchtete der IS, dass unsere Leute fliehen könnten und man sagte uns, dass wir nach Mossul umziehen müssten. Es entstand ein kurzer Streit, denn der Stadthalter von Tal-Afar wollte ‚seine Leute‘ wiederhaben, aber Mossul wollte auf die billigen Arbeitskräfte nicht verzichten. Der Whali von Tal-Afar erreichte schließlich, dass jeder, der in Tal-Afar arbeiten wollte, auch dorthin zurückkehren konnte.
Die Jesidinnen wurden zusammen mit sechs Christinnen erschossen
Ich erhielt in Mossul die Aufgabe, sieben Kühe von Hadji Bakr zu hüten und zu versorgen. Nebenbei habe ich zehn alte Jesidinnen, die älter als 60 Jahre waren, gepflegt. Als ich nach Tal-Afar zurückkehren wollte, brachten IS-Leute die alten Frauen auf das Gelände einer Schule und erschossen die Frauen. Das geschah am 27. oder 29. Dezember 2014. IS-Männer zeigten mir ein Video davon. Die Jesidinnen wurden zusammen mit sechs Christinnen erschossen, die in Käfigen zu dieser Schule gebracht worden waren. Die Christinnen hatten nicht zum Islam konvertieren wollen.“
Zum Islam übertreten oder sterben
Schamo wurde in seiner Zeit beim IS mehrfach Augenzeuge von Verbrechen im Zusammenhang mit dem Übertritt zum Islam: „Eine junge jesidische Familie mit einem eineinhalbjährigen Kind wurde aufgefordert zum Islam zu konvertieren. Der Mann weigerte sich. IS-Kämpfer schlachteten ihn vor den Augen seiner Frau wie ein Schaf. Auch die Frau weigerte sich. Die IS-Männer entrissen ihr das Kind und schleuderten es vor ihren Augen gegen eine Wand, dass es starb. Dann vergewaltigten drei Männer die Frau vor den Augen anderer Gefangener.“
Erfolgreiche Flucht
„Bei unserer Rückreise nach Tal-Afar hatte ich eine Gruppe von über 30 Personen organisiert und uns glückte unterwegs die Flucht. Zwei Tage und Nächte schlugen wir uns durch ins Shingal-Gebirge, tagsüber versteckten wir uns im Gebüsch, von 19 Uhr abends bis morgens um fünf Uhr liefen wir. Meine Mutter war mit den beiden Kindern 25 Tage im Shingal-Gebirge und wurde gerettet, auch die anderen traf ich im Flüchtlingslager wieder.“