Zeitehe im Iran
Die Zeitehe ermöglicht es iranischen Männern, zeitlich begrenzte Ehen einzugehen, auch, wenn man bereits verheiratet ist. Im Fokus steht bei der Zeitehe das sexuelle Vergnügen und nicht die Gründung einer Familie, wie bei der ’normalen‘ Ehe. Zeitehen dürfen Männer auch mehrere gleichzeitig eingehen, Frauen ist das jedoch verboten.
Sighe – vertragliche Ehe auf Zeit
Stand März 2022
Seit der Islamischen Revolution 1979 versucht die Regierung, Frauen systematisch zu unterdrücken. Ein Beispiel dafür ist Sighe, die Zeitehe. Diese erlaubt es, zeitlich begrenzte Ehen zwischen 30 Minuten und 99 Jahren einzugehen. Ohne Ehebeschluss ist der Geschlechtsverkehr im Iran gesetzlich verboten und kann mit Peitschenhieben bestraft werden. Die Zeitehe hat sich aber auch als Instrument für die Unterdrückung und Misshandlung der Frauen im Iran entpuppt. Frauen, die in finanzieller Not sind, sehen sich häufig dazu gezwungen, Zeitehen einzugehen, um nicht in Armut zu verfallen. Auch im Gefängnis ist die Sighe präsent – dort werden Frauen unter dem Deckmantel der Zeitehe mit Gefängniswächtern zwangsverheiratet, welche sie dann ohne rechtliche Folgen sexuell missbrauchen können.
Die Legalisierung des sexuellen Missbrauchs
Die Zeitehe, auf Persisch Sighe und im Arabischen Mut´a genannt, erlaubt es dem Mann, eine Frau für eine bestimmte Zeit zu heiraten, auch wenn er bereits verheiratet ist. Die Islamische Republik Iran ist das einzige Land, das die Zeitehe legalisiert hat. Die feste Ehefrau muss auch nicht über die Zeitehe informiert werden. Diese Sonderform der Ehe wird als „Genussehe“ betrachtet, die vorwiegend dem Zweck des (sexuellen) Vergnügens dient – anders als bei der „normalen Ehe“, die die Gründung einer Familie vorsieht. Laut Informationen der IGFM ist die Zeitehe während des letzten Jahrzehnts in bedeutenden Pilgerstädten des Schia-Islams wie Qom und Mashhad stark angestiegen. Über legale Websites und Telegrammkanäle können Pilger (nicht nur iranische, sondern oft auch Pilger irakischer oder afghanischer Herkunft), ihre „Ehefrauen auf Zeit“ nach bevorzugten äußerlichen Merkmalen wie Größe, Gewicht, Augen- und Hautfarbe auswählen. Zudem wird eine von der Frau verlangte Gebühr und eine „Einführungsgebühr“ erhoben, die an den Mullah oder an den Eigentümer der Website oder des Telegrammkanals geht, die normalerweise mit diesen religiösen Institutionen verbunden sind. Obwohl Mädchen im Iran ab 13 Jahren als heiratsfähig gelten, werden sie laut Experten oft bereits vor Erreichen des heiratsfähigen Alters ohne ihre Zustimmung von ihren Familien in eine Zeitehe gezwungen, bis sie offiziell verheiratet werden können.
Streit zwischen Sunniten und Schiiten
Sunnitische Religionsgelehrte und Frauenverbände in der arabischen Welt sehen die Ehe auf Zeit als eine Art „religiös legitimierte Prostitution“ an, die weder durch den Koran noch durch die Sunna zu rechtfertigen ist und lehnen diese Form der Ehe daher vehement ab. Weil die Polygynie in mehrheitlich sunnitisch geprägten Ländern häufig praktiziert wird, ist das Konzept der Zeitehe dort in mancher Hinsicht obsolet. Nach sunnitischer Auffassung wurde die Zeitehe entweder bereits von Muhammad oder von einem seiner unmittelbaren Nachfolger, wie dem Kalifen Umar, möglicherweise aber auch erst von einem späteren abgeschafft.
Schiitische Befürworter entgegnen, dass die Zeitehe keineswegs mit Prostitution zu vergleichen ist: Während die Frau bei der Prostitution ausgebeutet und gedemütigt wird, gebe die Zeitehe der Frau eine geachtete Stellung als Ehefrau. Zudem gehe die Ehefrau die Verbindung der zeitlich begrenzten Ehe freiwillig ein. Die unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Sunniten und Schiiten sind u.a. darin begründet, dass für Sunniten die rechtlichen Äußerungen des Kalifen und Prophetengefährten Umar selbstverständlich rechtsverbindlichen Charakter haben, während schiitische Muslime – aufgrund ihrer Ablehnung der Rechtmäßigkeit der Herrschaft der ersten drei Kalifen nach Muhammad – deren rechtlichen Urteilen nur geringe Autorität und auf keinen Fall Gesetzescharakter zubilligen. In der Auseinandersetzung zwischen den zwei großen islamischen Konfessionen gehört die Sighe nach wie vor zu den dauerhaften Streitpunkten.
Rechtliche Grundlagen
Im schiitisch-islamischen Recht findet die Kurzzeitehe ihre Legitimation im Koran, Sure 4 „Die Frauen“, Vers 24. Im iranischen Zivilgesetzbuch ist die Zeitehe in Kapitel 6, Artikel 1075 des siebten Buches vorgesehen. Dieser zeitgebundene Ehevertrag weist in der Praxis meist miet- oder pachtvertragliche Elemente auf. Bei Vertragsschluss einer Zeitehe werden weder Zeugen noch Imam oder Richter benötigt. Die volljährige Frau braucht in diesem Fall auch keinen männlichen Vormund. Der Vertragstext ist formlos und kann mündlich vereinbart werden. Die Frau muss den Satz „Ich heirate dich für eine bestimmte Dauer und für eine bestimmte Ehegabe ( زَوَّجتُکَ نَفسِی فِی المُدَّۀِ المَعلُومَۀِ، عَلَی المَهرِالمَعلُوم ) aussprechen, der Mann muss darauf antworten: „Ich nehme an“ ( قَبِلت ). Bei Vertragsschluss über die Zeitehe wird die Ehedauer, die Ehegabe die der Mann der Frau bei der Trauung auszahlen muss, manchmal sogar auch die Anzahl sexueller Begegnungen vertraglich festgehalten. Außerdem müssen fruchtbare Frauen nach Ablauf der Ehedauer mindestens zwei Menstruationszyklen warten, bevor sie erneut heiraten dürfen, damit im Falle einer Schwangerschaft der Vater identifiziert werden kann. Da die Zeitehe nicht offiziell registriert werden muss, gibt es laut Experten keine offiziellen Statistiken.
„In den Jahren vor der Revolution war die Sighe nur unter den religiösen und traditionellen Schichten der Gesellschaft verbreitet. Die Zeitehe wurde niemals von Politik und Regierung unterstützt und kein Offizieller hat positive Worte in der Öffentlichkeit darüber verloren. Mit der Islamischen Republik hat sich die Sighe jedoch unter dem „Schari’a-Hut“ (religiöse Legalität) in Prostitution verwandelt. Dass Sighe in religiösen Städten, insbesondere in Mashhad und Qom – vormaligen gesitteten und frommen Orten, viel häufiger verbreitet ist, so dass sie weniger anstößig wirkt, ehrt die Mullahs, die vor der Revolution strikt für die Wahrung von Moral und Sittlichkeit auftraten, nicht. Erheblichen Schaden erleiden auch die Kinder aus Sighe-Ehen. Sie werden bis ans Ende des Lebens das Stigma „Sighe-Kind“ auf der Stirn tragen müssen.“
Dr. Behrouz Khosrozadeh, Lehrbeauftragter am Institut für Demokratieforschung der Georg-August-Universität Göttingen
Mehrmals wöchentlich verheiratet
Der vorgegebene Zeitrahmen, der abgewartet werden muss, bevor erneut eine Zeitehe eingegangen werden darf, wird jedoch oft nicht eingehalten und manche Frauen heiraten sogar mehrmals wöchentlich. Dies ist auf die prekäre soziale Lage der Frauen im Iran zurückzuführen. Da es verheirateten Frauen oft von ihren festen Ehemännern untersagt wird zu arbeiten, sind sie finanziell auf den Mann angewiesen. Stirbt dieser oder trennt er sich, droht der Frau oft extreme Armut. Da das Erlernen von Berufen wie auch generell der Einstieg in die Berufswelt von jenen Frauen sehr schwer ist, sehen sich diese oft in die Zeitehe als letzte Option hineingetrieben und sind dann auf die finanzielle Unterstützung des „Zeit-Ehemannes“ angewiesen. Außerdem haben verheiratete Frauen einen höheren sozialen Status als Ledige. Eine geschiedene Frau unter 20 Jahren gilt im Iran als moralische und wirtschaftliche Belastung für die Familie.
„Die Zeitehe ist wie ein Leasing – nur mit einer Frau anstelle des Autos. Die Frau wird dabei wie ein Objekt behandelt. Das Konzept der Zeitehe ist eine Erniedrigung für iranische Frauen und für die Institution der Ehe“,
Shiva Shafahi, Frauenrechtlerin
Ablauf der Zeitehe
Nach Ablauf der Vertragsfrist ist die Zeitehe beendet, eine Scheidung ist nicht notwendig. Eine Verlängerung der Ehe ist nicht möglich, es kann aber ein neuer Vertrag abgeschlossen werden. Kinder, die aus einer Zeitehe resultieren, gelten als legitim und ehelich, sind aber in ihren Rechten eingeschränkt. Wie Kinder aus dauerhaften Ehen gehören „Sighe-Kinder“ ebenfalls dem Vater, leben aber in der Regel bei der Mutter. Obwohl sie dieselben Rechte haben wie Kinder aus dauerhaften Ehen, sind sie für die Umsetzung und Ausübung dieser Rechte auf die Anerkennung des Vaters angewiesen. Erkennt der Vater die Kinder nicht als seine an, können weder Mutter noch Kinder rechtlich dagegen vorgehen. Bei den Sighe-Ehen ist die Frau zudem weder erb- noch unterhaltsberechtigt.
Zwangsverheiratung inhaftierter Frauen
In iranischen Gefängnissen wird die Zeitehe von Wächtern oder anderen Offiziellen des Gefängnisses ausgenutzt, um weibliche Häftlinge mit ihnen zwangszuverheiraten. Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch das iranische Regime dürfen z.B. Jungfrauen nicht hingerichtet werden. In jenen Fällen kam es dazu, dass Jungfrauen, die zum Tode verurteilt wurden, vor ihrer Hinrichtung zwangsverheiratet wurden, damit durch die anschließende Vergewaltigung die Hinrichtung `legal` stattfinden konnte. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat und schiitische Geistliche Mehdi Karroubi hat aufgrund Aussagen ranghoher Behördenvertreter auf die Problematik aufmerksam gemacht. Die iranische Führung weigert sich bis heute dennoch, die Zeitehe abzuschaffen und sinnvollere Unterstützungen für alleinstehende Frauen einzuführen.
Berichte über Missbrauch im Gefängnis
Die iranisch-stämmige Kanadierin Marina Nemat spricht in ihrem Buch „Ich bitte nicht um mein Leben“ über solche Ereignisse, die sie im berüchtigten Evin-Gefängnis erlebt hat: Wie sie gefoltert wird, gezwungen wird zum Islam zu konvertieren und einen Wächter zu heiraten und wie sie vergewaltigt wird. Sie porträtiert auch ihre Zellengenossinnen, wie die 20-jährige Taraneh, die befürchtet, vor ihrer Erschießung noch vergewaltigt zu werden, weil sie noch Jungfrau sei oder die ebenfalls 20-jährige Sheida, deren Hinrichtung nur noch nach hinten verschoben wird, weil ihr Kind noch nicht geboren ist. Keine von ihren Zellengenossinnen hat überlebt.
Copyright: Johannes Moths
„Zeitehe im Iran ist für mich eine scheinheilige Form, Prostitution zu legalisieren. Sie stellt gleichzeitig auch wieder einmal die Benachteiligung der Frau in den Fokus. Denn die Zeitehe gilt nur für den Mann. Würde sie eine Frau eingehen und wäre verheiratet, dann würde darauf Steinigung wegen Ehebruch stehen. Der verheiratete Mann jedoch kann unendlich viele Zeitehen neben seiner Ehefrau eingehen. Islamisch legalisiert.“
Natalie Amiri, Journalistin
Unterdrückung der Frau
Das Konstrukt der Zeitehe bringt einseitig Pflichten für die Frau und Rechte für den Mann mit sich. Im Gegensatz zu einer dauerhaften Ehe existiert kein Gleichgewicht zwischen dem Recht auf Sexualität seitens des Mannes und dem Recht auf Unterhalt seitens der Frau. Zwar erhält der Mann das Recht auf Sexualität, die Frau erlangt jedoch keinerlei Rechte. Im Gegenteil findet der Mann oft Wege, die vereinbarte Entlohnung nicht auszuzahlen und instrumentalisiert und missbraucht die Frau unter dem Deckmantel der Zeitehe sexuell.
Zeitehe und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte:
Das Konzept der Zeitehe steht in vielen Punkten im Widerspruch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:
„Sighe“ heute
Mit dem gesellschaftlichen Wandel, der insbesondere unter den jungen Frauen stattfindet, hat Sighe den traditionellen Gebrauch, der noch in den 1980er Jahren üblich war, verloren. Heute gibt es verschiedene Formen und Verwendungen von Sighe: Kurzzeit-, Tages- und Stundenehe, Pilgerfahrten und Tourismus. Einige Prostituierte benutzen es als rechtlichen Schutz für ihre Arbeit. Junge Paare nutzen eine Sighe, um zusammen leben zu dürfen oder gemeinsam Urlaub machen zu können. Damit findet die Zeitehe einen Weg in den kommerziellen Tourismus. Mit anderen Worten: Sighe wird auch als Schutz für Frauen benutzt, um zu verhindern, dass sie für ihre nichteheliche Beziehung bestraft werden können. Trotzdem überwiegen die Nachteile und die Zeitehe wird eher zur Unterdrückung und zum Missbrauch der Frauen eingesetzt….